Doch die Sünde ist Scharlachrot
meine, zum Beispiel im Notfall. Denn es ist verdammt weit von Falmouth hierher. Und Benzin … Wissen Sie eigentlich, wie teuer Benzin heutzutage ist?«
Das Mädchen klang verdrossen. Daidre ging hinüber ins Esszimmer und zauberte zwanzig Pfund aus dem Sideboard hervor, die sie Cilla reichte. »Danke, dass du extra hergekommen bist«, sagte sie. »Das war ein weiter Weg.«
Cillas Miene hellte sich auf. »Na ja. Gran hat mich drum gebeten. Und sie ist in Ordnung. Sie lässt mich immer bei sich pennen, wenn Mum mich mal wieder rausschmeißt, was ungefähr einmal die Woche passiert. Deswegen … Als sie mich gebeten hat und gesagt hat, es ist wichtig …« Sie zuckte die Achseln. »Wie auch immer. Hier bin ich. Sie hat gesagt, Sie müssten das erfahren. Und sie hat auch noch gesagt …«
Cilla runzelte die Stirn, als hätte sie Mühe, sich an den Wortlaut der restlichen Nachricht zu erinnern. Daidre war verwundert, dass die Großmutter sie nicht aufgeschrieben hatte. Aber vermutlich hatte sie befürchtet, dass Cilla den Zettel verlieren würde, wohingegen man ihr eine kurze mündliche Botschaft durchaus anvertrauen konnte.
»Ach ja. Sie hat noch gesagt, Sie soll'n sich keine Sorgen machen, sie hat denen nichts verraten.« Cilla berührte ihren Nasenring, als wollte sie sich vergewissern, dass er sich noch an Ort und Stelle befand. »Warum schnüffelt Scotland Yard in Ihrem Leben rum?«, fragte sie nun. Und grinsend fügte sie hinzu: »Was haben Sie denn angestellt? Leichen im Garten vergraben oder so?«
Daidre lächelte schwach. »Sechs oder sieben«, gab sie zurück.
»Dacht ich's mir doch.« Cilla legte den Kopf schräg. »Sie sind ziemlich blass. Setzen Sie sich lieber hin, und den Kopf …« Sie schien vergessen zu haben, was man in einem solchen Fall mit dem Kopf tat. »Wollen Sie 'n Glas Wasser?«
»Nein, nein. Alles in Ordnung. Ich hab heute noch nichts Richtiges gegessen. Bist du sicher, dass du nichts trinken möchtest?«
»Ich muss wieder los«, antwortete sie. »Ich hab heute Abend 'ne Verabredung. Mein Freund und ich, wir gehen tanzen.«
»Wie nett.«
»Ja. Wir machen einen Kurs. Klingt blöd, irgendwie, aber wenigstens unternehmen wir so auch mal was zusammen. Wir lernen gerade, wie das Mädchen durch die Gegend geworfen wird. Dafür muss man einen ganz steifen Rücken machen. Nase in die Luft strecken. So was in der Art. Und ich muss hochhackige Schuhe anziehen, was ich eigentlich nicht ausstehen kann, aber die Tanzlehrerin sagt, wir sind schon richtig gut. Sie will uns für irgend so einen Wettbewerb anmelden. Bruce – das ist mein Freund – ist total stolz deswegen und sagt, wir müssten ab sofort jeden Tag trainieren. Darum gehen wir auch heute Abend wieder aus. Meist üben wir bei seiner Mum im Wohnzimmer, aber er sagt, wir sind so weit, dass wir uns jetzt in der Öffentlichkeit zeigen können.«
»Das klingt großartig«, sagte Daidre. Sie wartete, ob noch mehr kommen würde, hoffte jedoch inständig, dass Cilla sich alsbald verabschiedete, damit sie sich endlich mit der Nachricht befassen konnte, die das Mädchen ihr überbracht hatte. Scotland Yard in Falmouth. Polizeibeamte, die Fragen stellten. Sie fühlte, dass die Beunruhigung ihr wie Gänsehaut die Arme heraufkroch.
»Also dann. Ich muss los«, sagte Cilla, als hätte sie Daidres Gedanken erraten. »Denken Sie mal drüber nach, sich hier ein Telefon anzuschaffen, okay? Sie können's ja im Schrank verstecken oder so. Und nur einstöpseln, wenn Sie wollen.«
»Ja. Ja, das mach ich«, versprach Daidre. »Vielen Dank, dass du den weiten Weg hierhergekommen bist, Cilla.«
Das Mädchen verabschiedete sich, und Daidre stand auf der Eingangsstufe und sah zu, während Cilla gekonnt den Kickstarter des Motorrads betätigte – eine Fahrerin wie sie brauchte keinen Elektrostarter – und wie sie dann die Maschine in der Einfahrt drehte.
Sie verschwand mit einem Winken, brauste das enge Sträßchen hinauf, verschwand hinter einer Kurve und ließ Daidre mit ihren Gedanken allein zurück.
Scotland Yard, dachte sie. Beamte, die Fragen gestellt hatten. Es konnte nur einen Grund – einen Menschen – geben, der dahintersteckte.
20
Kerra hatte eine schlaflose Nacht verbracht, und auch der darauffolgende Tag war bislang großteils ungenutzt verstrichen. Sie hatte zwar versucht, so gut wie möglich weiterzumachen, und sogar die Termine für die Vorstellungsgespräche eingehalten, die sie im Laufe der vergangenen Wochen mit einigen
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