Doch die Sünde ist Scharlachrot
Dellen und zerrte sie hoch, zwang sie, sich auf die Bettkante zu setzen. »Jetzt ist Schluss mit dem Theater!«
»Theater?« Dellens Stimmung schlug um, wie so oft in der Vergangenheit, unvorhersehbar wie eine seismische Erschütterung. »Du nennst das hier ein Theater?«, empörte sie sich. »So reagierst du auf die Ermordung deines eigenen Bruders? Was ist nur los mit dir? Hast du überhaupt keine Gefühle? Mein Gott, Kerra! Wessen Tochter bist du eigentlich?«
»Ja, ich kann mir vorstellen, dass du dir diese Frage schon gelegentlich gestellt hast«, erwiderte Kerra. »Du hast die Wochen und Monate zurückgerechnet und gerätselt: Wem sieht sie ähnlich? Von wem ist sie? Wen kann ich als ihren Vater ausgeben, und das ist die kritische Frage, stimmt's nicht, Dellen? Wird er mir glauben? Oh, vielleicht, wenn ich jammervoll genug aussehe. Oder erfreut genug oder glücklich genug. Oder wie auch immer man aussehen muss, wenn man irgendeinen Schlamassel erklären will, den man angerichtet hat.«
Dellens Augen hatten sich verdunkelt. Sie schien vor Kerra zurückzuzucken und fragte: »Wie kannst du nur sagen …?« Sie hob die Hände und verdeckte das Gesicht in einer Geste, die Kerra wohl für Entsetzen halten sollte.
Es war an der Zeit. Kerra zog die Postkarte aus der Tasche. »Oh, hör auf damit!«, sagte sie, stieß die Hände ihrer Mutter weg und hielt ihr die Postkarte vors Gesicht. Sie legte ihr eine Hand in den Nacken, damit Dellen diesem Gespräch nicht entfliehen konnte. »Sieh mal, was ich gefunden habe. Hier ist es, Mum? Hier ist es? Was genau? Was ist es?«
»Wovon redest du? Kerra, ich habe keine …«
»Was? Du hast keine Ahnung, was ich da in der Hand halte? Du erkennst das Foto auf dieser Karte nicht? Du erkennst deine eigene verdammte Handschrift nicht? Oder ist es das hier: Du hast überhaupt keine Ahnung, woher diese Karte kommt, und falls du es doch weißt – denn uns beiden ist ja wohl sonnenklar, dass du es weißt –, dann kannst du dir einfach nicht erklären, wie sie in meine Hände gekommen ist? Also, was genau ist es, Mum? Antworte! Was?«
»Es ist nichts. Es ist nur eine Postkarte, Herrgott noch mal. Du benimmst dich wie …«
»Wie eine Frau, deren Mutter den Mann gefickt hat, den die Tochter heiraten wollte!«, schrie Kerra. »In dieser Höhle, wo du all die anderen auch gefickt hast.«
»Wie kannst du nur …«
»Weil ich es weiß! Weil ich dich beobachtet habe! Weil ich die Geschichte wieder und wieder mit angesehen habe! Dellen in Nöten, und wer sonst könnte ihr helfen, als einzig und allein ein williger Mann, ganz gleich welchen Alters, denn das war dir schon immer scheißegal, oder? Du musstest ihn einfach nur haben, ganz gleich wer er war, ganz gleich wem er gehörte … Denn was du wolltest, war immer wichtiger als …« Kerra spürte, dass ihre Hände zitterten. Sie drückte ihrer Mutter die Karte ins Gesicht. »Ich sollte dich … Gott! Gott, ich sollte dich …«
»Nein!« Dellen wand sich unter ihr. »Du bist ja verrückt!«
»Nicht einmal Santo kann dich aufhalten. Santo ist tot, und nicht einmal das kann dich aufhalten. Und ich hab noch gedacht: Das wird sie endlich aufrütteln. Aber das ist nicht passiert, oder? Santos Tod – Santos Ermordung – hat nicht den leisesten Eindruck bei dir hinterlassen. Nicht die geringste Ablenkung von deinen Plänen.«
»Nein!«
Dellen begann, sich zu wehren, schlug die Krallen in Kerras Hände und Finger. Sie trat und wollte sich wegrollen, aber Kerra war zu stark. Also fing sie an zu schreien.
»Du hast es getan! Du! Du!« Dellen packte ihre Tochter an den Haaren und versuchte, ihr mit den Fingern in die Augen zu stechen. Sie zerrte Kerra zu sich herab. Sie rollten auf dem Bett umher, suchten in dem Wirrwarr aus Laken und Decken Halt. Beide kreischten. Arme schlugen wild hin und her, Beine traten, Hände packten zu. Und fanden. Und verloren. Packten wieder zu, schlugen und zerrten, während Dellen immerfort schrie: »Du! Du! Du hast es getan!«
Die Schlafzimmertür flog krachend auf. Schritte eilten herbei. Kerra spürte, wie sie emporgezogen wurde, und hörte dann Alans Stimme an ihrem Ohr: »Ruhig«, sagte er. »Ganz ruhig. Ruhig! Jesus. Kerra, was tust du denn?«
»Zwing sie, es zu sagen!«, schrie Dellen. Sie hatte sich auf die Seite fallen lassen. »Zwing sie, dir alles zu sagen! Was sie Santo angetan hat. Zwing sie, dir von ihm zu erzählen. Santo!«
Alan hielt Kerra mit einem Arm umschlungen und bewegte
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