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Doch die Sünde ist Scharlachrot

Doch die Sünde ist Scharlachrot

Titel: Doch die Sünde ist Scharlachrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Elizabeth
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Spur hinterlassen. Dellen war auf den ersten Blick nicht zu sehen, bis Kerra um das Bett herumging und ihre Mutter auf einer dicken Schicht ihrer eigenen Kleidungsstücke auf dem Fußboden vorfand. Ihre Kleidung … Sie war rot. Alles war rot. Dellen hatte jedes einzelne rote Teil, das sie besaß, auf dem Boden verstreut.
    Für einen Augenblick fühlte Kerra sich erneuert, während sie so auf sie hinabblickte: eine einzige Blüte, hervorgegangen aus der Knolle, endlich befreit von Erde und Stängel. Doch dann bewegten sich Dellens Lippen, die Zunge kam hervor, als wollte sie die Luft küssen. Ihre Hand öffnete und schloss sich wieder. Ihr Becken bewegte sich, lag wieder still. Ihre Lider flatterten. Sie seufzte.
    Als Kerra dies sah, fragte sie sich zum ersten Mal, wie es wohl tatsächlich war, diese Frau zu sein. Aber sie wollte diesen Gedanken nicht weiterverfolgen, also hob sie den Fuß und kickte Dellens rechtes Bein unsanft vom linken hinunter. »Wach auf!«, befahl sie. »Wir müssen reden.« Sie betrachtete das Bild auf der Postkarte, um die Kräfte zu sammeln, die sie brauchen würde. Hier ist es, verkündete die rote Handschrift ihrer Mutter. O ja, dachte Kerra. Hier waren sie nun in der Tat. »Wach auf«, wiederholte sie lauter. »Steh vom Boden auf!«
    Dellen öffnete die Augen. Für einen Moment schien sie verwirrt, bis sie Kerra erkannte. Dann raffte sie die Kleidungsstücke an sich, die ihrer rechten Hand am nächsten lagen. Sie presste sie sich an die Brust und legte dabei eine Schere und ein Tranchiermesser frei. Kerra sah von ihrer Mutter zurück zu den Kleidungsstücken auf dem Boden. Erst da erkannte sie, dass die Sachen allesamt zerschnitten, zerfetzt und völlig unbrauchbar gemacht worden waren.
    »Ich hätte sie gegen mich selbst richten sollen«, flüsterte Dellen dumpf. »Aber ich konnte es nicht. Wärt ihr nicht glücklich gewesen, wenn ich es getan hätte? Du und dein Vater? Glücklich? O Gott, ich will sterben. Warum hilft mir denn niemand zu sterben?« Sie begann zu weinen, ohne Tränen zu weinen, und klaubte immer mehr der zerschnittenen Kleidungsstücke an sich heran, bis diese ein riesiges Kissen bildeten.
    Kerra wusste, was das in ihr auslösen sollte: Schuldgefühle. Sie wusste auch, wozu sie ebendiese verleiten sollten: Vergebung. Sie sollte vergeben, vergeben und immer nur vergeben, bis sie irgendwann nur noch daraus bestand. Kerra, Inkarnation der Vergebung. Und verstehen: verstehen, bis nichts mehr von ihr übrig war als ein immerwährendes Ringen um Verständnis.
    »Hilf mir!« Dellen streckte eine Hand aus, nur um sich gleich wieder zurück auf den Boden fallen zu lassen. Die Geste verursachte fast keinen Laut, und so sinnlos erschien sie auch.
    Kerra stopfte die Postkarte zurück in die Tasche. Dann packte sie ihre Mutter am Arm und zerrte sie hoch. »Steh auf!«, befahl sie wieder. »Du brauchst ein Bad.«
    »Ich kann nicht«, antwortete Dellen. »Ich versinke. Ich werde bald verschwunden sein, lange bevor ich …« Und dann ein kleiner, gerissener Richtungswechsel, als hätte sie in Kerras Gesicht einen Hauch von Brüchigkeit gelesen und wüsste, dass sie sich davor hüten musste. »Er hat meine Tabletten aus dem Fenster geworfen. Er hatte mich heute Morgen … Kerra, er … Er hat mich praktisch vergewaltigt. Und dann hat er … und dann hat er … dann hat er meine Tabletten weggeworfen.«
    Kerra kniff die Augen zusammen. Sie wollte nicht über die Ehe ihrer Eltern nachdenken. Sie wollte ihrer Mutter lediglich die Wahrheit abringen, aber sie selbst musste den Kurs dieser Wahrheit bestimmen. »Hoch mit dir«, sagte sie. »Komm schon. Komm! Du musst aufstehen!«
    »Warum hört mir denn keiner zu? Ich kann so nicht weitermachen. In meinem Innern ist ein so bodenloser Abgrund … Warum hilft mir denn keiner? Du? Dein Vater? Ich will sterben!«
    Ihre Mutter war schlaff wie ein Sandsack, und es kostete Kerra unendlich viel Kraft, sie aufs Bett zu hieven. Dort blieb Dellen liegen. »Ich habe mein Kind verloren.« Ihre Stimme brach. »Warum versteht mich denn keiner?«
    »Jeder versteht dich.« Kerra fühlte sich innerlich schrumpfen, als würde sie gleichzeitig niedergedrückt und verbrannt. Bald würde nichts mehr von ihr übrig sein. Nur Reden konnte sie noch retten. »Jeder weiß, dass du ihn verloren hast. Aber alle anderen haben Santo auch verloren.«
    »Aber ich bin seine Mutter, Kerra, und nur eine Mutter …«
    »Bitte.« Irgendetwas in Kerra zerbrach. Sie packte

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