Doch die Sünde ist Scharlachrot
Schlüssel. Vielleicht ein Klemmkeil oder Karabiner. Oder eine Schlinge. Selbst die Gurte wären geeignet. Oder vielleicht alles auf einmal? Nein, das wäre vermutlich zu viel des Guten. Die Schlinge wäre überhaupt kein Problem, denn die ist aus Nylon und ließe sich mit einer Schere, einem scharfen Messer, einer Rasierklinge oder womit auch immer durchtrennen. Mit den anderen Utensilien wäre es ein bisschen schwieriger. Denn bis auf das Seil – und das Seil wäre eine gar zu offensichtliche und augenfällige Option – besteht alles aus Metall, also brauchte man ein Schneidewerkzeug. Aber wie sollte man da drankommen? Kaufen? Nein. Das ließe sich zurückverfolgen. Leihen? Auch da gilt: Irgendjemand würde sich daran erinnern. Eines benutzen, ohne dass der Eigentümer es mitbekäme? Das wäre schon eher möglich und auf jeden Fall klüger; aber woher nehmen? Von einem Freund, Bekannten oder am Arbeitsplatz? Bei irgendwem, dessen Tagesablauf einem genauestens bekannt ist, weil man ihn akribisch beobachtet hat? Alles denkbar, richtig? Der Beichtvater muss also nur den passenden Moment abwarten, und schon ist es passiert. Ein Schnitt reicht, und hinterher ist nichts davon zu sehen, weil der Beichtvater, wie gesagt, kein Dummkopf ist, und er weiß – oder sie, denn wir wollen nicht vergessen, dass es ebenso gut eine Frau sein könnte –, dass es allesentscheidend ist, keine Beweise zu hinterlassen. Das Beste an der Sache aber ist, dass der Junge seine Ausrüstung selbst mit Klebeband markiert hat. Oder vielleicht hat das sogar sein Vater getan. Jedenfalls ist sie dadurch von dem Kletterzeug aller anderen Leute einfach zu unterscheiden. Die meisten Kletterer tun das, sie markieren ihre Ausrüstung, weil sie so oft zu mehreren klettern gehen. Zusammen zu klettern, ist sicherer, verstehen Sie? Und all das sagt dem Beichtvater, dass so gut wie keine Gefahr besteht, dass irgendjemand anderes außer der Junge selbst diese Schlinge, diesen Karabiner oder jenes Gurtzeug hernehmen wird. Oder was immer es war, das manipuliert wurde; denn ich weiß es natürlich nicht. Aber ich habe mir das hier überlegt: Das Einzige, womit der Beichtvater wirklich aufpassen muss, ist das Klebeband, mit dem die Teile markiert worden sind. Wenn er oder sie neues Band nachkaufen muss, besteht die Gefahr, dass es nicht absolut identisch ist oder zurückverfolgt werden kann. Keine Ahnung wie, aber die Chance besteht, also ist es wichtig, darauf zu achten, das schon vorhandene Klebeband herzunehmen. Es gelingt dem Beichtvater tatsächlich, und das ist gar nicht einfach, denn dieses Band ist steif, wie Isoliertape. Er – oder sie, wie gesagt – klebt es hinterher einfach wieder drüber. Vielleicht hält es nicht mehr so gut wie vorher, aber wenigstens ist es dasselbe Band, sodass es dem Jungen vermutlich nicht auffallen wird. Oder falls doch, was wird er wohl tun? Es andrücken und vielleicht noch ein Stück darüberkleben. Also, nachdem all das bewerkstelligt und die Ausrüstung wieder an Ort und Stelle ist, muss man nur noch warten. Und nachdem dann passiert ist, was passiert ist – und es ist eine Tragödie, daran gibt es keinen Zweifel –, bleibt nichts, was man nicht irgendwie logisch erklären könnte.«
»Irgendetwas gibt es immer, Mr. Reeth«, widersprach Bea.
Jago betrachtete sie mit Nachsicht. »Fingerabdrücke auf dem Kofferraumdeckel? Im Auto? Auf den Wagenschlüsseln? Im Innern des Kofferraums? Der Beichtvater und der Junge haben viele Stunden miteinander verbracht, vielleicht sogar zusammen gearbeitet bei … sagen wir, im Hotel seines Vaters. Jeder ist mal im Wagen des anderen mitgefahren, sie waren befreundet, sie waren Kumpel, sie waren Ersatzvater und Ersatzsohn füreinander, sie waren Ersatzmutter und Ersatzsohn, sie waren Ersatzbrüder, sie waren ein Liebespaar oder was auch immer. Es spielt keine Rolle, verstehen Sie? Denn es lässt sich alles erklären. Ein Haar im Kofferraum? Gehört es dem Beichtvater? Oder jemand anderem? Dafür gilt das Gleiche. Der Beichtvater kann absichtlich das Haar eines anderen dort platziert haben oder sogar sein eigenes oder ihr eigenes, denn wie wir bereits festgehalten haben, könnte es ja auch eine Frau gewesen sein. Wie steht es mit Fasern? Kleidungsfasern … vielleicht auf dem Klebeband, mit dem die Ausrüstung markiert war. Wäre das nicht wunderbar? Aber der Beichtvater könnte geholfen haben, die Ausrüstung zu markieren, oder er hat sie angefasst, weil … weil der
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