Doch die Sünde ist Scharlachrot
Seele zu erretten, die diese Hütte gebaut hat.«
»Ah. Das war dann wohl besagte Hedra?«
»Genau die. Sie war verwitwet. Ihr Mann – der in den Gewässern vor Polcare Cove fischte – geriet in einen Sturm und ertrank. Er ließ sie allein mit einem kleinen Sohn zurück. Wenn man Reverend Walcombe glauben will – und er neigte nicht dazu, seine Berichte auszuschmücken –, verschwand der Junge eines Tages. Vermutlich ist er zu nahe an den Rand einer Klippe geraten, die zu brüchig war, um sein Gewicht zu tragen. Statt den Verlust von Mann und Sohn innerhalb von sechs Monaten zu akzeptieren, beschloss die arme Hedra zu glauben, ein Selchie hätte den Jungen geholt. Sie redete sich ein, der Kleine wäre zum Wasser hinuntergegangen – Gott allein weiß, wie er das aus dieser Höhe geschafft haben sollte –, und dort hätte die Robbenfrau auf ihn gewartet und ihn ins Wasser gelockt, um ihn dem Rest der …« Sie runzelte die Stirn. »Mist. Ich habe vergessen, wie man eine Robbengruppe nennt. Herde kann nicht stimmen. Schule? Aber das sagt man bei Delfinen. Na ja, spielt ja im Moment keine Rolle. Das war es jedenfalls, was passiert ist. Hedra hat diese Hütte gebaut, um auf seine Rückkehr zu warten, und das tat sie für den Rest ihres Lebens. Eine ziemlich ergreifende Geschichte, was?«
»Ist sie wahr?«
»Wenn man diesem Walcombe glauben kann. Kommen Sie mit rein! Es gibt noch mehr zu entdecken. Wir sollten zusehen, dass wir aus dem Wind herauskommen.«
Die obere und untere Türhälfte wurden von rauen Holzriegeln verschlossen gehalten, die durch ebenso raue Holzgriffe gesteckt waren und auf Haken ruhten. Während Daidre sie zurückschob und die Türen öffnete, sagte sie über die Schulter: »Hedra wusste genau, was sie tat. Sie hat sich eine ziemlich solide Hütte gebaut, um auf ihren Sohn zu warten. Mit einer Rahmenkonstruktion aus Holz. Drinnen gibt es eine umlaufende Bank, das Dach liegt auf stabilen Balken, und der Boden ist aus Schiefer. Es ist, als hätte sie gewusst, dass ihr eine lange Wartezeit bevorstand.«
Sie ging voraus, doch dann hielt sie abrupt inne. Sie hörte, wie er hinter ihr durch die niedrige Tür kam. »O verdammt«, rief sie verärgert, und er sagte: »Was für ein Jammer.«
Die Wand genau vor ihnen war verunstaltet worden, und nach den frischen Kratzern und Einschnitten im Holz der kleinen Hütte zu urteilen, war es erst kürzlich geschehen. Die Überreste eines eingeritzten Herzens – welches zweifellos die Initialen eines Liebespaares enthalten hatte – bildeten jetzt einen gerundeten Rahmen für eine Reihe tiefer Kerben, die beinah wie eine Fleischwunde aussahen. Von den Initialen war nichts mehr zu sehen.
»Nun ja«, sagte Daidre und bemühte sich, gelassen zu klingen. »Es ist ja nicht so, als wären die Wände nicht vorher schon verunstaltet worden. Wenigstens sind es keine Graffiti. Aber trotzdem fragt man sich … Warum tut jemand so was?«
Thomas nahm den Rest der Hütte mit ihren Schnitzereien aus mehr als zweihundert Jahren in Augenschein: Initialen, Daten, noch mehr Herzen, dann und wann ein Name. »Wo ich zur Schule gegangen bin«, sagte er nachdenklich, »gibt es eine Mauer. Sie ist nicht weit vom Eingang entfernt, sodass kein Besucher sie übersehen kann. Schüler haben dort ihre Initialen eingeritzt seit … ich weiß nicht … ich nehme an, seit der Regentschaft von Henry VI. Wenn ich dorthin zu Besuch fahre – das tue ich hin und wieder, das tut wohl jeder –, dann suche ich nach meinen. Sie sind immer noch da. Irgendwie sagen sie mir, dass ich real bin. Ich existierte damals, ich existiere immer noch. Aber wenn ich all die anderen ansehe … und es sind Hunderte, wahrscheinlich Tausende … muss ich immer daran denken, wie flüchtig das Leben ist. Hier ist es dasselbe, finden Sie nicht?«
»Ich schätze schon.« Sie fuhr mit den Fingern über einige der älteren Schnitzereien: ein keltisches Kreuz, der Name Daniel, B.J. + S.R. »Ich komme gerne hierher, um nachzudenken«, gestand sie. »Manchmal frage ich mich, wer all diese Menschen waren, die sich so vertrauensvoll zusammengeschlossen haben. Und war ihre Liebe von Dauer? Das frage ich mich auch.«
Lynley berührte das entstellte Herz. »Nichts ist von Dauer«, sagte er. »Das ist unser Fluch.«
9
Bea Hannaford sah sich in Santo Kernes Zimmer um. Zum ersten Mal seit ihrem Aufeinandertreffen war sie froh, dass es Constable McNulty war, der als ihr Handlanger herhalten musste, denn die
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