Doch die Sünde ist Scharlachrot
nachdem Detective Inspector Hannaford jeden Verdacht gegen ihn hatte fallen lassen. Das war ja auch kein Wunder: Sowie er gesagt hatte, er sei von New Scotland Yard, war er über jeden Zweifel erhaben gewesen. Wäre sie selbst nur auch so schlau gewesen …
Doch sie musste ehrlich sein, wenigstens sich selbst gegenüber. Thomas Lynley hatte nie behauptet, er sei von New Scotland Yard. Es waren die beiden Polizisten selbst gewesen, die diesen Schluss gezogen hatten, nachdem er seinen Namen preisgegeben hatte.
»Thomas Lynley«, hatte er gesagt. Und da hatte einer von ihnen – sie wusste nicht mehr, wer – gefragt: »New Scotland Yard?« In einem Tonfall, der Bände zu sprechen schien. Er hatte etwas gesagt, was darauf hindeutete, diese Annahme sei korrekt, und damit war die Sache erledigt gewesen.
Jetzt wusste sie, warum. Denn wenn er Thomas Lynley von New Scotland Yard war, dann war er auch der Thomas Lynley, dessen Frau auf offener Straße vor ihrem Haus in Belgravia erschossen worden war. Jeder Polizist im ganzen Land musste davon gehört haben. Schließlich war die Polizei doch so eine Art Bruderschaft. Daidre wusste, das bedeutete auch, dass landesweit sämtliche Beamten irgendwie miteinander in Verbindung standen. Das durfte sie nicht vergessen. Und sie musste sich in seiner Nähe vorsehen, ganz gleich wie groß sein Schmerz sein mochte oder ihr Drang, diesen Schmerz zu lindern. Jeder trug Schmerz in sich, das wusste sie. Damit fertig zu werden, das war es, worum es im Leben ging.
Er hob einen Arm und winkte. Sie winkte zurück. Sie gingen aufeinander zu. Der Küstenpfad hier oben auf der Klippe war schmal, uneben und mit Steinen übersät. Ginsterbüsche standen dicht an dicht auf der Ostseite, eine gelbe Phalanx, die sich tapfer gegen den Wind stemmte. Jenseits der Ginsterlinie erstreckte sich eine üppige Wiese. Das Gras war kurz, weil hier oft Schafe weideten.
Als sie sich nahe genug waren, um einander über den Wind hinweg hören zu können, fragte Daidre: »Sie brechen wieder auf?« Aber noch während sie sprach, erkannte sie ihren Irrtum und fuhr fort: »Aber Sie haben Ihren Rucksack gar nicht dabei. Also lautet die Antwort wohl: Nein.«
Er nickte ernst. »Sie gäben eine gute Polizistin ab.«
»Ich fürchte, das war eine ziemlich simple Schlussfolgerung. Alles darüber hinaus würde meiner Aufmerksamkeit entgehen. Machen Sie einen Spaziergang?«
»Ich habe Sie gesucht.« Der Wind zerzauste sein Haar genauso wie ihres, und er strich es sich aus der Stirn. Wieder fiel ihr auf, wie ähnlich seine Haarfarbe der ihren war. Vermutlich wurde er im Sommer hellblond.
»Mich?«, fragte sie. »Woher wussten Sie, wo ich zu finden bin? Nachdem Sie erfolglos am Cottage angeklopft hatten, meine ich. Ich hoffe zumindest, ich darf davon ausgehen, dass Sie dieses Mal angeklopft haben. Viel mehr Fenster habe ich nämlich nicht zu bieten.«
»Ich habe angeklopft«, versicherte er. »Als niemand öffnete, habe ich mich umgeschaut und die frischen Fußspuren entdeckt, denen ich dann gefolgt bin. Es war ganz einfach.«
»Und hier bin ich«, bemerkte sie.
»Und hier sind Sie.«
Er lächelte und schien einen Moment zu zaudern. Das überraschte Daidre, denn er kam ihr nicht wie ein Mann vor, der jemals zauderte. »Und?«, fragte sie und neigte den Kopf zur Seite. Ihr fiel auf, dass er eine Narbe an der Oberlippe hatte, ein wohltuender kleiner Makel in seinem ansonsten so klassisch gut aussehenden Gesicht mit den ausgeprägten, markanten Zügen.
»Ich wollte Sie zum Essen einladen«, erklärte er. »Ich fürchte, ich kann Ihnen nur das Salthouse Inn anbieten, denn ich habe immer noch kein Geld und kann Sie schwerlich einladen, um Sie anschließend zu bitten, die Rechnung zu begleichen. Aber im Hotel kann ich es anschreiben lassen, und da das Frühstück gut war – nun, sagen wir, annehmbar –, nehme ich an, dass auch das Abendessen genießbar sein wird.«
»Was für eine zweifelhafte Einladung«, bemerkte sie.
Er schien darüber nachzudenken. »Meinen Sie das ›genießbar‹?«
»Ja. ›Erlauben Sie mir, Sie zu einem genießbaren, wenn auch alles andere als schmackhaften Dinner einzuladen.‹ Das ist genau so ein galantes, postviktorianisches Ansinnen, auf das man nur antworten kann: ›Es wäre mir beinahe ein Vergnügen.‹«
Er lachte. »Tut mir leid! Meine Mutter würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie tot wäre, was allerdings zum Glück nicht der Fall ist. Also lassen Sie es mich so sagen: Ich
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