Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
eine junge Frau ermordet, ein Kind entführt und unser Haus in Brand gesteckt. Was muss er noch tun, bevor Sie etwas unternehmen?«
Es war zwei Tage her, seit Mog Annie die Leviten gelesen hatte, und heute Morgen hatte Annie sich endlich bereit erklärt, zur Bow Street zu gehen und den Polizeiapparat auf Trab zu bringen. Aber weil sie bei Weitem nicht forsch genug auftrat, hatte Mog das Gefühl, dass sie die Sache in die Hand nehmen musste.
»Wir waren bereits bei Mr. Kent zu Hause und in seinem Büro. Er ist außer Landes, kann also unmöglich das Feuer gelegt haben.« Der fette, rotgesichtige Sergeant, der anscheinend überzeugt war, dass Mog jetzt klein beigeben würde, grinste hämisch, als er diese Information preisgab.
»Ach ja?«, bemerkte sie höhnisch. »Und das soll ich glauben?«
Das Gesicht des Mannes verdüsterte sich. »Das sollten Sie allerdings. Wir haben Beweise, dass er Passagier auf einer Fähre war, die Dover am vierzehnten Januar verlassen hat.«
»Am Tag nach Belles Entführung!«, rief Annie. »Er hat sie aus dem Land geschafft! Wohin?«
»Er ist in Begleitung eines anderen Manns nach Frankreich gereist. Ein Kind war nicht bei ihnen«, teilte der Sergeant ihr von oben herab mit.
Mog schnappte nach Luft. »Dann hat er sie schon umgebracht!«
»Es gibt keinerlei Beweise, dass er das Mädchen entführt undgetötet oder den Brand gelegt hat.« Der Sergeant verdrehte die Augen und starrte gelangweilt an die Decke. »Mr. Kents Verwalter hat bestätigt, dass er sich immer noch im Ausland aufhält. Und jetzt ab mit Ihnen, ich habe zu tun.«
Annie drehte sich um, aber Mog war nicht bereit, so schnell aufzugeben. »Haben Sie kein Herz?«, fragte sie. »Wie wäre Ihnen zumute, wenn man Ihre Tochter geraubt und Ihr Haus in Brand gesteckt hätte? Es ist eine Tatsache, dass Millie von diesem Kent ermordet worden ist, und unsere Belle war Zeugin des Verbrechens. Versuchen Sie also nicht, uns einzureden, dass er sie nicht mitgenommen hat oder dass er nicht unser Haus abgebrannt hat, um uns einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Viel schlimmer noch finde ich aber, dass Sie sich auf das Wort eines Mannes verlassen, dem einige der schlimmsten Elendsquartiere in London gehören. Er kann wohl kaum als glaubwürdig gelten!«
»Huren noch weniger«, fuhr der Sergeant sie an. »Und jetzt verschwindet hier, bevor mir etwas einfällt, wofür ich euch beide einlochen kann!«
Wenn Annie Mog nicht am Arm gepackt und sie aus dem Revier gezogen hätte, hätte Mog dem Mann eine Ohrfeige gegeben.
»Hast du gehört, was er gesagt hat?«, stieß sie hervor, als sie draußen auf der Straße waren. Ihr Gesicht war rot vor Zorn.
»Ja, ich habe es gehört, und es hat mir nicht besser gefallen als dir«, sagte Annie. Sie fasste Mog an beiden Armen und schüttelte sie leicht, damit sie sich ein bisschen beruhigte. »Aber er hat nach einem Vorwand gesucht, uns einzusperren, und damit wäre niemandem gedient. Nachher kommt Noah. Reden wir mit ihm und überlegen, was wir als Nächstes tun können.«
Mog lehnte sich an Annie. Sie wusste, dass sie sich einstweilen geschlagen geben musste. Hinter Gittern zu landen, brachte tatsächlich gar nichts.
Es war wieder ein sehr kalter Tag, und der eisige Wind peitschte noch mehr Röte auf Mogs Wangen, als sie zum Ram’s Head zurückgingen. Als Annie Mog einen verstohlenen Seitenblick zuwarf, sah sie an der Art, wie sie ihre Lippen zusammenpresste, dass sie immer noch wütend war und dass sich ein Teil ihres Zorns gegen sie richtete.
Annie wusste, dass Mog das Gefühl hatte, dass sie, Annie, nicht so sehr wie Mog unter den jüngsten Ereignissen litt. Aber sie irrte sich. Annie war es einfach nicht möglich, über ihre Gefühle zu sprechen. Sie wünschte, sie wäre anders und könnte ihre Wut und ihre Angst herauslassen, aber es ging nicht. Der Mord an Millie und Belles Entführung saßen tief in ihr drin, gingen ihr ständig durch den Kopf und lähmten sie derartig, dass sie sich außerstande fühlte, irgendetwas zu tun. Das war der Grund, warum sie nach dem Feuer so lange im Bett geblieben war.
Wenn alle anderen dachten, dass sie unter Schock stand – umso besser, denn sie wollte auf keinen Fall zugeben, wie schuldig sie sich fühlte, weil es ihr nicht gelungen war, ihre eigene Tochter zu beschützen. Sie hatte nicht nur einmal, sondern schon zweimal versagt. Sie hatte am Abend des Mordes versäumt nachzusehen, wo Belle war, und dann nicht vorausgesehen, dass Kent
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