Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
verlangt wurde, war es vielleicht auch so.
Als dann das Haus an sie fiel, gelang ihr nahtlos der Übergang von der Hure zur Madame. Ihre angeborene Würde und Haltung verschafften ihr Respekt. Bei den Männern, die einmal ihre Kunden gewesen waren, setzte sie genau die richtige Dosis kühler Distanz ein, um ihnen zu verstehen zu geben, dass Annie ihnen zwar nicht mehr zur Verfügung stand, die Männer aber immer noch gern gesehene Gäste in ihrem Haus waren.
Aber jetzt badete sie in Selbstmitleid, und von ihrer Würde war nichts geblieben. Sie roch so muffig wie ein altes Weib im Armenhaus, und sie sah auch so aus. Die traurige Wahrheit war, dass Frauen jenseits der dreißig nur wenige Möglichkeiten offenstanden, und obwohl man Annie jetzt wegen Belles Verschwinden und des Brands allgemein bedauerte, würde dieses Mitgefühl bald dahinschwinden, wenn sie sich nicht am Riemen riss und sich wieder nach oben boxte.
»Nur das Dienstmädchen!« Mog stieß einen tiefen Seufzer aus. »Herzlichen Dank auch, Annie. Schön zu wissen, dass man geschätzt wird. Ich habe nach dem Brand an deiner Stelle mit der Polizei geredet, ich habe deinen Nachttopf geleert, dir Mahlzeiten und etwas zum Anziehen gebracht, und nebenbei bin ich so sehr in Sorge um deine Tochter, als wäre sie mein eigenes Kind. Aber von dir habe ich kein einziges Wort über sie gehört! – Nur das Dienstmädchen, sagst du! Nun, ich kenne bei Gott kein anderes Dienstmädchen, das so viel tun würde, wie ich für dich getan habe. Aber vielleicht ist es an der Zeit, dass ich auf mich selbst schaue und mir nicht mehr den Kopf über dich und die Deinen zerbreche.«
»Ach, du weißt doch, dass ich es nicht so gemeint habe«, sagte Annie und warf den Kopf zurück. »Ich bin am Ende. Was erwartest du von mir?«
»Ich hatte gehofft, du bist froh, dass wir immer noch einanderhaben«, erwiderte Mog. »Ich hatte erwartet, dass du darüber nachdenkst, was wir mit dem Bastard, der Belle entführt und unser Haus in Brand gesteckt hat, machen können. Jimmy, Garth und Noah sind auf unserer Seite, aber es wird Zeit, dass du dich zusammenreißt und wieder in Gang kommst. Dass du dich wehrst.«
»Ich kann nicht«, wimmerte Annie. »Ich habe keine Kraft mehr zum Kämpfen. Ich wünschte, du hättest mich in dem Feuer sterben lassen.«
»Es gibt viel Schlimmeres, als ein Haus zu verlieren«, sagte Mog erstaunt. »Zum Beispiel, dass Belle einem Mörder in die Hände gefallen ist. Aber deshalb bist du nicht zusammengebrochen – bedeutet dir das Haus etwa mehr als deine Tochter?«
»Du verstehst das nicht.« Annie sah Mog aus tränennassen Augen an. »Das Haus zu besitzen, hat mich für all die schrecklichen Dinge, die mir angetan wurden, entschädigt. Dass die Gräfin es mir hinterließ, war Balsam für meine Seele. Ich konnte aufhören, an die Männer zu denken, die mich vergewaltigt hatten, und an all die anderen, bei denen ich so tun musste, als gefielen sie mir, weil sie mich dafür bezahlten. Jetzt ist das Haus weg, und all die Erinnerungen kehren zurück. Jetzt bin ich nichts mehr.«
»Du bist nichts, wenn du nicht für deine Belle kämpfen kannst«, entgegnete Mog, die Annie am liebsten geohrfeigt hätte, um sie zur Besinnung zu bringen. »Du solltest jetzt in der Bow Street sein und Krach wegen des Feuers schlagen, nicht hier herumliegen und dich in deinem Elend suhlen. Besteh darauf, mit dem ranghöchsten Beamten zu sprechen, und verlang von ihm, das Feuer und Belles Verschwinden zu untersuchen. Warum nimmst du nicht ein bisschen Geld aus der Kassette und setzt eine Belohnung für Hinweise aus? Irgendjemand hier im Viertel weiß bestimmt etwas – und Geld lockert die Zungen immer.«
»Der Falke wird mir nur etwas anderes antun«, sagte Annie matt.
Mog verdrehte die Augen. »Was kann er dir schon noch tun? Er hat bereits die zwei schlimmsten Sachen gemacht, die ich mir denken kann. Mehr geht nicht.«
»Er könnte mich umbringen.«
»Tja, nachdem du gerade gesagt hast, ich hätte dich lieber im Feuer sterben lassen sollen, wäre das ja nicht so tragisch«, entgegnete Mog schroff. »Und jetzt bereite ich dir unten in der Waschküche ein Bad. Wenn du nicht aufstehst und dich in die Wanne setzt, werden sich unsere Wege wohl leider trennen.«
KAPITEL 12
Mog beugte sich über die Tischplatte und streckte angriffslustig ihr Kinn vor.
»Warum waren Sie nicht in Kents Haus oder Büro und haben ihn verhört?«, wollte sie von dem Sergeant wissen. »Er hat
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