Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
Garth eher den Eindruck machte, dass er Komplimente für ein Zeichen von Schwäche hielt.
»Soll das heißen, Sie würden mich als Haushälterin einstellen? Mit Bezahlung, meine ich?«
»Na ja, viel kann ich nicht ausgeben. Wären Ihnen drei Shilling pro Woche recht?«
Mog hatte bisher fünf Shilling bekommen, und sie wusste, dass eine Haushälterin in einem großen Haus weit mehr verdiente, aber nach Annies Bemerkung von heute Morgen war sie froh, dass irgendjemand sie wollte.
»Sehr recht sogar, Garth«, sagte sie lächelnd. »Und Ihnen ist es hoffentlich recht, wenn ich als Ihre Haushälterin hier einiges umorganisiere und einen gründlichen Frühjahrsputz mache?«
Jetzt lächelte er, und es war ein so ungewöhnlicher Anblick, so dass es schien, als wäre die Sonne hinter den Wolken hervorgekommen. »Im Haus können Sie anstellen, was Sie wollen«, sagte er. »Aber in der Kneipe bleibt alles beim Alten. Ich mag sie, wie sie ist.«
»Ich bin wirklich froh, dass Onkel Garth Mog gefragt hat, ob sie bei uns Haushälterin werden will«, sagte Jimmy zu Noah, als sie am nächsten Morgen zur Charing Cross Station gingen, um den Zug nach Dover zu nehmen. »Ich hab Mog wirklich gern und will nicht, dass sie geht.«
»Und Annie?«, fragte Noah. Er hatte bereits gehört, dass sie ihren eigenen Weg gehen wollte.
»Annie zu mögen, ist nicht ganz so leicht«, meinte Jimmy nachdenklich. »Glauben Sie, dass sie wieder ein Bordell aufmacht?«
Noah schluckte. Es war ihm unangenehm, über so etwas mit einem jungen Burschen zu reden. »Keine Ahnung. Aber ich finde, sie sollte sich lieber etwas anderes suchen, damit Belle nicht mehr mit diesem Gewerbe in Berührung kommt, wenn sie wieder da ist.«
»Vielleicht hat man sie schon in dieses Gewerbe gezwungen.«
Als Noah verstohlen zu Jimmy spähte, sah er, dass der Junge Tränen in den Augen hatte. »Hoffentlich nicht«, sagte er und drückte Jimmys magere Schulter. »Du bist mir gegenüber im Vorteil, Jimmy – weißt du, ich habe Belle nie kennengelernt. Erzähl mir, wie sie ist.«
»Sie ist sehr hübsch. Sie hat dunkles, lockiges Haar, das wie feuchter Teer glänzt, und dunkelblaue Augen. Und ihre Haut schimmert wie ein Pfirsich, ganz anders als bei den meisten Mädchen hier in der Gegend, und sie riecht gut, frisch und sauber, und ihre Zähne sind klein und weiß.«
Noah lächelte. Die detaillierte Beschreibung verriet ihm, wie hingerissen Jimmy von ihr war.
»Aber es ist nicht nur ihr gutes Aussehen, es ist ihre Art«, fügte Jimmy abschließend hinzu.
»Und wie ist sie?«
»Lebhaft und aufgeweckt. Sie hat ihren eigenen Kopf. Ich hab sie zum ersten Mal am Morgen des Tages getroffen, an dem Millie umgebracht wurde. Ich habe sie gefragt, ob sie eine Hure ist, weil sie in einem Bordell lebt.«
»Was hat sie dazu gesagt?«
Jimmy lächelte. »Sie war ganz schön sauer. Sie hat geantwortet, wenn sie in einem Palast wohnen würde, wäre sie deshalb nicht gleich eine Königin. Aber wie sich später herausstellte, wusste sie in diesem Moment noch gar nicht, was eine Hure ist. Sie bekam es erst mit, als sie beobachtete, wie Millie ermordet wurde.«
Noah errötete, denn er sah auf einmal Millie vor sich, wie sie im Hemd vor ihm stand und seine Hand nahm und auf ihre Brust legte. Seine Erinnerungen an Millie waren alle schön, und er hörte es gar nicht gern, wenn sie als Hure bezeichnet wurde.
»Mädchen wie Millie haben keine große Wahl, womit sie letzten Endes ihren Lebensunterhalt verdienen«, sagte Noah. »Bei Annie war es dasselbe; sie wurde dazu gezwungen. Sprich also höflich über diese Frauen. Wir Männer sind es, die aus ihnen machen, was sie sind.«
»Das weiß ich«, sagte Jimmy entrüstet. »Na, jedenfalls bin ichbei unserem nächsten Treffen mit Belle zum Embankment gegangen, und sie hat mir erzählt, was sie gesehen hat, ist einfach damit herausgeplatzt. Sie hat geweint. Es ist bestimmt schlimm für ein Mädchen, das alles auf diese Weise herauszufinden.«
»Öfter hast du Belle nicht getroffen?«
Jimmy schüttelte düster den Kopf. »Sie hat großen Eindruck auf mich gemacht. Ich war so froh, dass sie meine Freundin sein wollte. Und dann wurde sie entführt, bevor ich sie besser kennenlernen konnte.«
Sie näherten sich jetzt dem Bahnhof, und Noah blieb stehen, um eine Zeitung zu kaufen, in der er nach ein paar kurzen Artikeln suchen wollte, die er geschrieben hatte und die in der heutigen Ausgabe erscheinen sollten.
»Bist du schon mal mit der Bahn
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