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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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die Frau des Rektors entflammte. »Für solche Stunden lebe ich«, verriet sie Boff, den es in die Bibliothek verschlagen hatte. Hier erfuhr er, dass die Frau in ihrer Klosterschule einst alle Grenzen gesprengt hatte, dass die Nonnen sie an weltliche Anstalten abgegeben hatten, um sich keinen Floh in den frommen Pelz zu setzen. Sie hielt sich regelmäßig in Halle und in Wittenberg auf, der zweihundert Jahre älteren Universitätsschwester. Seit den allerersten Tagen des 16. Jahrhunderts wurden in der Nachbarstadt Juristen, Mediziner und Theologen ausgebildet.
    »Ihr setzt Euch in den Hörsaal?«, fragte Boff.
    »Ich darf das, ich bin die Frau vom Rektor. Wer soll mich rauswerfen? Er müsste lebensmüde sein.«
    Sie war amüsiert und gut gelaunt. Kein Gedanke mehr an Bronchien. Boff dachte: Bestimmt raucht sie heimlich.
    Die Runde fand den Schwenk zum Erzählen und Trinken, bevor es anstrengend werden konnte. Die Italiener würden nach Wittenberg weiterreisen und später nach Prag und Frankfurt und Helmstedt. Sie waren ideale Agenten ihrer Vision. Keine verstaubten Kathedergelehrten, sondern spannkräftige und fixe Gelehrte. Sie sangen gern, sie verwandelten reife Frauen in kichernde Mädchen, und wenn sie die hiesigen Gelehrten und Doctores ausfragten, war ihr Interesse aufrichtig.
    Boff schlug die angebotene Kutsche aus und spazierte heim. Nach Mitternacht war es schon kühl geworden, aber er hatte genug Hitze in sich. Halle schlief unter einem sternenklaren Himmel. Uhrenglocken schlugen die Stunden, Katzen prügelten sich fauchend im Verborgenen, und einmal waren Laufschritte zu hören, leise und leicht. Doctor Boff wäre diesenWeg gern mit Hermine gegangen. Er konnte nicht einschätzen, wie sie sich in dieser Runde gemacht hätte. Wie sie bei den Italienern angekommen wäre, stand außer Frage. Hermine hatte einen Fehler begangen, als sie die Einladung am Ende doch ausschlug.
    Aus dem Dunkel der Haustür trat eine Gestalt auf Boff zu. Er war darauf nicht gefasst und erschrak. Den Boten kannte er. »Habt Ihr fünf Brüder oder schlaft Ihr einfach nie? Das ist doch nicht normal, dass ein einzelner Mann so viele Wege macht.«
    »Man ruft mich gern, weil ich zuverlässig bin.«
    »Es wird einen Zweiten geben, der auch zuverlässig ist.«
    Darauf entgegnete der Bote nichts und überreichte das Schreiben.
    »Kommt sofort, wenn Ihr dies lest. Geht nicht vorher ins Bett und erzählt mir später Geschichten über Müdigkeit.«
    Er sah den Boten an, die Kutsche stand bereit, schmal, windschnittig, für hohe Geschwindigkeiten gemacht.
    »Wie ernst ist es?«, fragte er. »Ehrliche Antwort.«
    »Sie quält sich schrecklich und das schon lange. Nachts ist es am schlimmsten.«

12
    Der Bote hatte seinen Fahrgast darauf hingewiesen: »Sie machen viel Licht in der Nacht, weil sie sonst vor Angst sterben würde.« Er hatte nicht übertrieben.
    Kein Schloss, kein Herrenhaus, aber groß war das Gebäude trotzdem. Auf seinen Reisen hatte Boff einst im Schwarzwald so ein Haus gesehen, ein Heim für Förster und Waldarbeiter. Im Licht der Laternen zeichneten sich die Vierecke des Fachwerks ab. Weiße Wände, Ziegeldach. Alles wirkte gepflegt, wie erst kürzlich bezogen. Auch die Blumenstücke zwischen Weg und Haus sahen aus, als würden sie geometrischen Mustern gehorchen.
    Angeblich war es nicht von Anfang an so gewesen. Angeblich war die drakonische Pflege in dem Maße vorangetrieben worden, in dem die Gräfin mit den Nachtmahren kämpfte. Jede Nacht, bis zur Erschöpfung. Angeblich hatte man sie oft auf dem Fußboden gefunden, deshalb lagen die Teppiche hier in drei Schichten. Sie sollte sich beim Fallen nicht verletzen und beim Liegen nicht verkühlen. Die Familie löste sich ab, das Personal sprang ein, neues Personal war eingestellt worden. Mehrere Gesellschafterinnen waren in kurzer Folge gekommen und wieder gegangen. Die Gräfin war garstig und ungerecht. Sie warf mit Gegenständen und teilte Beleidigungen aus. Wenn Personal die Flucht ergriff, dann, weil ihm unterstellt worden war, zu stehlen und zu unterschlagen. Nicht jeder ertrug das stoisch, mochte die Familie einem auch hundertmal Langmut empfohlen haben. Die Gräfin verschliss Menschen, aber nur nachts. Tagsüber schlief sie, seit zwei Jahren hatte sie den Rhythmus von Tag und Nacht umgedreht. Man hatte versucht, sie zu täuschen, aber die Frau mochte verwirrt sein, zwischendurchdurchlief sie Phasen großer Scharfsichtigkeit, in denen sie alle gnädigen Betrügereien

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