Doctor Boff - Weiberkranckheiten
der Ton wurde drängender, eine Absage wurde nicht akzeptiert. Boff sagte zu, Stine musste zu ihren anderen Arbeiten auch noch den Überblick über die abendlichen Verpflichtungen des Doctors behalten. Es war nicht so, dass sie vor Freude auf dem Tisch tanzte. Aber ihr traditioneller Missmut hellte sich ein wenig auf, denn sie glaubte, dass vom Glanz, der auf den Doctor fiel, ein Lichtstrahl auch auf seine Mitarbeiter fallen würde. Heimlich freute sie sich über die neuen Verhältnisse. Nicht, dass sie unter dem alten Physicus zu leiden gehabt hätte. Aber für ihr betrübtes Leben seit dem Heimgang ihres Mannes bedeutete es eine Abwechslung, dass der neue Doctor die Dinge anders anpackte. Am meisten freute sich Stine darüber, dass er sich in der Stadt nicht auskannte. Plötzlich waren ihre Kenntnisse gefragt. Wer wohnte wo? Wie kam man am schnellsten dorthin? Welcher Platz lag hinter dem Marktplatz? Wie viele Gebäude gehörten zu den Franckeschen Stiftungen? Gab es eigentlich Katholiken in der Stadt? Welche Bäcker waren die besten? Nur seine Fragen überdie Universität konnte sie nicht beantworten, in dieser Welt war sie nicht zu Hause.
»Herein, wenn’s kein Doctor ist!«
Sie lag vollständig angekleidet mit nackten Beinen auf dem Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Auf ihrem Bauch lag ein aufgeschlagenes Buch, ihm fiel auf, dass es an ihre Brüste stieß. Es war nicht so, dass er den Anblick herbeigesehnt hatte. Aber da er nun schon einmal angefangen hatte, hinzusehen … Und solange sie die Augen geschlossen hielt … Leider achtete er dann zu wenig auf die Augen und zu viel auf …
»Hier oben bin ich, werter Doctor! Habt Ihr mich nicht gelehrt, den Blickkontakt herzustellen?«
Er fragte nach dem Titel des Buchs, um mit Anstand aus der peinlichen Situation herauszukommen. Er war auf ein medizinisches Werk eingestellt, ein Hebammenbuch, von denen es immer mehr gab und mit Abbildungen, die jedes Jahr detaillierter wurden. Aber sie verschlang einen ihrer Schmöker, die sie in jeder freien Minute vor dem Gesicht hatte. »Ist es denn nicht immer der gleiche Ablauf?«, hatte Boff vor kurzem gefragt. Sie hatte die Frage nicht verstanden. Denn es war doch gerade die Wiederkehr des ewig Gleichen, die sie für diese Art von Literatur einnahm. Am Anfang trafen sich eine schöne Frau und ein starker Mann, dann riss sie das Schicksal auseinander, jeder erlebte Abenteuer auf eigene Faust, und wenn es so aussah, als würden sie sich nie mehr über den Weg laufen, geschah dies doch – in der Regel mit einer unglaubwürdigen Häufung von Zufällen. Umarmung, bebende Brüste, Ende und Anfang des nächsten Buchs, in dem sich eine schöne Frau und ein starker Mann …
»Nur weil Ihr kein Leser seid, heißt das nicht, dass alle Bücher, die Ihr verschmäht, schlechte Bücher sind.«
Er kannte diese Logik, er hörte sie heute nicht zum ersten Mal. Wenn sie sich aufregte, wackelten ihre Zehen. Er wusstenicht, ob ihr das bewusst war. Er fand es hinreißend. Aber nach dem Fehler mit dem Busen konnte er nicht fünf Minuten später ins nächste Fettnäpfchen treten. Doctor Boff hatte ein Problem mit Frauen. Die meisten bewunderten ihn zu sehr, und eine bewunderte ihn zu wenig.
»Er sagte: Ich lade Euch ein.«
»Was muss ich dafür tun?«
»Höflich sein, geistreich, schön natürlich. Und keine garstigen Geschichten von schlimmsten Entbindungen erzählen, mit denen Ihr sonst die Menschen in die Flucht treibt.«
»Dann kommen wir nicht ins Geschäft.«
»Ich bitte Euch aufrichtig. Ich bin in Verlegenheit.«
»Ihr findet keine Frau, die Euch begleitet? Wo sind wir denn hier? In Halle oder auf dem Mond?«
»Die Frauen aus Halle sind sittsam und verheiratet.«
»Gestattet, dass ich lache. Daran ist es doch noch nie gescheitert.«
Er dachte: Wenn du wüsstest. Aber es war gut, dass sie nicht alles wusste, wenn auch mehr, als er dachte.
Er sprach von dem Essen in der Universität. Eine Delegation aus Parma sollte begrüßt werden, Mediziner, die in der Inspektion des menschlichen Körpers versiert waren. Vor allem des toten menschlichen Körpers.
»Leichenschneider«, sagte Hermine nüchtern. »Denen müsste ich noch tollere Geschichten erzählen, bevor sie beeindruckt sind.«
Er versuchte es so herum und anders herum. Sie lag derweil auf dem Bett, stützte den Kopf auf die Hand, er wusste bald nicht mehr, wohin er blicken sollte. Es gab nur heikle Anblicke, die Frau war so schön. Sie wusste es und
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