Doctor Boff - Weiberkranckheiten
er Familie hatte. Aber der andere hielt sich bedeckt.
Mit schmerzlichen Worten beklagte die Fürstin den Verlust ihrer Gesprächspartnerin, für deren Auftauchen das eindringliche Schreiben von Boff verantwortlich war. Katarina Tänzer hatte die Segel gestrichen. Nach zwei Begegnungen auf der fürstlichen Terrasse hatte sich die Frau des alten Stadtphysicus empfohlen, sie fühlte sich dem stürmischen Mitteilungsbedürfnis der Fürstin in ihrer jetzigen Lage nicht gewachsen.
»Wie viele Menschen leben auf unserer Erde?«, schrieb die verletzte Fürstin. »Hunderttausend oder noch mehr? Fünfhunderttausend oder noch mehr? Jedenfalls nicht genug, um einen Menschen für mich zu finden. Mein geschätzter Doctor, ich brauche neue Medizin. Diesmal eine ohne Beine, auf denen sie vor mir weglaufen kann.«
Abends saßen sie zusammen. Rohwedder wirkte zerknittert, seine Haare waren zerzaust. Aber das waren keine Anzeichen für eine Krankheit.
»Ich werde Euch das nicht vergessen«, behauptete Rohwedder und schob den Teller von sich. »Ich bin so müde, ich habe nicht einmal mehr Hunger.«
»Hast du Lust, dich mit Besuchern aus Italien zu treffen? Sie sind Meister in allen Fragen der Autopsie.«
»Ach, immer diese Leichen.«
»Ich habe mich vielleicht schlecht ausgedrückt. Sie kommen aus Parma, es gibt enge Verbindungen nach Florenz und Verona. Sie reisen herum, um Verbindungen zu knüpfen. Sie suchen nach Austausch. Sie schicken ihre Leute zu uns, im Gegenzug steigen einige unserer Besten in die Kutsche über die Alpen. Natürlich nur solche, mit denen unsere Universität Ehre einlegen kann.«
»Ich glaube, ich gehe ins Bett und nehme eine Mütze voll Schlaf. Ihr solltet nicht so viel essen. Ein voller Magen macht den Geist träge. Seht Ihr Hermine heute noch?«
»Rohwedder! Sieh dich vor!«
»Ich habe nichts gesagt.«
»Dein Gesichtsausdruck verrät dich. Du stellst dir alles vor.«
»Der Mensch will träumen. Gute Nacht.«
»Stopp!«
»Was ist denn noch?«
»Abgesehen davon, dass es noch keine acht Uhr ist und niemand um diese Stunde schlafen geht? Ich habe eine Beschäftigung für dich.«
»Was soll ich machen? Und kann ich es auch vom Bett aus erledigen?«
»Du sollst meine Medizin sein.«
»Verstehe. Ich mache die Leute krank, und dann kommt Ihr und …«
»Ein verlockender Gedanke. Aber ich meine es andersherum. Du bist die Medizin, du machst einen kranken Menschen gesund.«
»Was muss ich tun?«
»Zuhören. Zuhören und bisweilen etwas sagen. Nicht über deinen Beruf, keine grausigen Details. Nichts mit Leichen und scharfen Messern! Nur lächeln und plaudern. Und nicht einschlafen dabei. Glaubst du, du kriegst das hin?«
16
Zwei von sieben Wochentagen waren Besprechungen auf dem Rathaus gewidmet. Die Herren mussten warten, bis die Praxis geschlossen hatte. Erst dann nahm sich der Stadtphysicus Zeit. Nicht bei allen Ratsherren fand diese Haltung Unterstützung. Einige wollten früh nach Hause und hielten das Gehabe des Medicus für Wichtigtuerei. Den Tänzer hatten sie dazu gebracht, bisweilen mittags zuzusperren und nachmittags Politiker zu sein und sich so zu benehmen, dass man bei Politikern beliebt war.
Boff ließ sich auf keine Debatten ein: »Erst der Arzt, dann der Rest. Wem das nicht passt, der soll es sagen.«
Aber niemand öffnete den Mund, denn niemand wollte der Erste sein, der den neuen Stadtphysicus kritisierte. Niemandem war verborgen geblieben, wie gut er von den Patientinnen angenommen worden war. Boff bot den Sonntag an, um sich zu besprechen. Er bot an, die Runde in den »Mohren« einzuladen. Mit dem ersten Vorschlag traf er die Pietisten ins Mark, mit dem zweiten die Zechbrüder.
Es gab einen Medicus in Halle, Doctor Friedemann Wünsch, mit dem sich Boff anfreundete. Das war nicht weiter verwunderlich, wäre er nicht überhaupt der erste Arzt gewesen, zu dem Boff in nähere Beziehungen trat. Man hatte sich beim Empfang zur Abschlussfeier der juristischen Fakultät getroffen. Nebeneinander sitzend, hatte man die langatmigen Vorträge überstanden. Über Seufzen, Gähnen und Sitzprobleme war man ins Gespräch gekommen. Beide hielten sich anfangs bedeckt, um dann amüsiert festzustellen, dass man nebeneinander litt wie Zwillinge. Man gestand sich, dass die Juristerei ein entfernter Planet sei. Boff konnte die folgende Einladung nicht ablehnen und verbrachte einen angenehmen Abend im Hause des Wünsch, dessen jüngereSchwester das bekannteste Textilhaus in Halle führte. Sie
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