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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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steht, in wesentlichen Teilen veraltet, und das Buch müsste neu gedruckt werden. Nein, es müsste schneller gehen, an das Wissen zu gelangen, das ich brauche.«
    »Ich stelle mir einen Baum vor«, sagte Stine versonnen, »der Baum trägt Blätter. Auf jedem Blatt steht alles, was man übereine bestimmte Krankheit wissen muss. Wenn der Mensch krank ist, geht er zum Baum, pflückt das Blatt und weiß nun alles.«
    »Und was macht der nächste, der dieselbe Krankheit hat?«, fragte Hermine kampflustig.
    »Na, der geht zum Baum. Das Blatt wächst doch jedes Mal nach.«
    »Stine kriegt keinen Schnaps mehr«, verlangte Hermine.
    »Eins dürfen wir nicht vergessen«, murmelte Boff. »Ich möchte gern weiter als Doctor arbeiten. Wenn der Baum Erfolg hat, werden alle Doctores ihre Arbeit verlieren. Ich möchte, dass das Wissen schnell verbreitet wird und die Medizin wichtig bleibt. Denn wir sind es doch, die dafür sorgen, dass wir jeden Tag etwas klüger werden. – Abgesehen von Menschen wie Hermine, die alles wissen, was man wissen kann, und die deshalb nichts mehr lernen müssen.«
    »Ich glaube, ich gehe jetzt«, sagte Stine.

14
    Der »Mohr« hatte sich zur Lieblingsadresse von Albrecht Boff entwickelt. Dort gab es ein Wirtspaar, an dem zwei Schauspieler verloren gegangen waren. Mit viel Lärm, großen Gesten und bühnenreifen Dialogen führten sie vor den Gästen Szenen auf, an deren Ende ein Teller mit dampfendem Essen und ein Krug mit kaltem Bier auf dem Tisch standen.
    Rohwedder aß wie üblich für vier. Boff hegte den Verdacht, dass der junge Gelehrte noch ärmer war, als er ihm gestanden hatte. Ihm tat Rohwedder leid, aber er wusste auch, dass Rohwedder so lebte, weil er es so wollte. Es gab Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Universitäten hatten ihre Fühler ausgestreckt, die aus Halle, aber nicht nur die. Im Spinnennetz der Gelehrten – der studierten und ernsthaften, aber auch der selbst ernannten und genialischen – verbreitete sich der Ruf des Mannes, der die Arterien liebte, und machte nicht an den Grenzen des deutschen Sprachraums Halt. Er korrespondierte mit ersten Adressen seiner Zunft. »Jeden Tag ein Brief«, lautete sein Grundsatz. Große Gelehrte schätzten Rohwedders Forschungen. Aber er war auch ein Hitzkopf, der Kompromisse für Schwäche und Diplomatie für Feigheit hielt. Die Hälfte seiner Korrespondenz ging dafür drauf, Zerwürfnisse auf die Spitze zu treiben und das Verhältnis zu Männern, die er schätzte, zu reparieren. Nie lag es an Rohwedder, dass er Sätze lesen musste wie: »Ihr seid ein ungehobelter Klotz. Ihr wart als Kind krank im Kopf und alles andere folgt daraus.«
    »Du brauchst einen Pfeiler in deinem Leben«, behauptete Boff.
    »Ich brauche einen Pfosten mitten durchs Herz. Mit jeder frischen Leiche kann ich zehn Tage arbeiten.«
    »Mit lebenden Leichen lässt sich leichter Geld verdienen.«
    »Alle tun das. Ich mag nicht, was alle tun. Es langweilt mich. Esst Ihr Euer Brot noch?«
    Boff schob es hinüber und sagte: »Du bist immer gleich bei einer Frage des Stolzes.«
    »Das ist mir auch schon aufgefallen. Sollte es daran liegen, dass ich die Dinge gründlicher durchdenke als die meisten Menschen?«
    »Ich glaube, es könnte daran liegen, dass du einen grundlegenden Irrtum begehst.«
    »Ihr wisst aber, dass ich unter anderem wegen solcher Sätze mein Elternhaus verlassen habe?«
    »Ich gehe das Risiko ein, dass du auch mich verlassen wirst. Nach dem Essen voraussichtlich.«
    »Wenn ich von Euch träume, was nicht selten geschieht, sitzen wir immer an einem Tisch und essen. Ehrlich gesagt esse ich, und Ihr seht mir dabei zu, weil Ihr Eure Mahlzeit schon beendet habt.«
    »Du kommst immer an einen Punkt, wo es um Stolz geht. Zu stolz, um einen Lehrauftrag anzunehmen. Zu stolz, um Vorträge zu halten. Zu stolz, um dein Vorbild in der Erforschung des Blutkreislaufs um eine Assistenten-Stelle zu bitten.«
    »Das hätte ich tun können, als ich im richtigen Alter war.«
    »Wie alt bist du jetzt? Achtunddreißig? Neununddreißig?«
    Rohwedder war dreiundzwanzig, und beide wussten es. Er war in der Kellerwohnung eines Hauses untergekommen, in dem die Wände so verschimmelt waren, dass niemand dort leben wollte, weil einem die Luft Tränen in die Augen und Schmerzen in den Kopf trieb. Seine Jacke war nicht sauber. Der Anblick wäre leichter zu ertragen gewesen, hätte er nicht versucht, einen Fleck wegzuwischen und dabei die Hälfte der Jacke in einen einzigen Fleck

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