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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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Einmal an den Ständen vorbeigeschlendert, und er sah ein bekanntes Gesicht oder auch zwei. Die Gesichter befanden sich in der Regel gerade im Gespräch mit Freunden oder Kollegen, die gegenseitige Vorstellung war unvermeidlich. Immer wieder registrierte Boff, wie Kunden und Händler die Köpfe zusammensteckten und sich gegenseitig auf den Physicus hinwiesen. Der Doctor besaß ein Gedächtnis für Gesichter, aber längst war das Stadium erreicht, in dem ihn viel mehr Bürger kannten als er jemals kennen lernen würde. Sein Beruf brachte das mit sich, er hätte es wissen können und hatte es auch gewusst. Aber es war etwas anderes, wenn man zum Objekt von öffentlichem Interesse wurde. Denn öffentlich war das Interesse, kaum einer erlegte sich Zurückhaltung auf. Man zeigte mit dem Finger auf den Doctor, und der Finger saß am Ende eines ausgestreckten Arms. Männer zogen den Hut oder neigten grüßend den Kopf. Frauen grüßten oder drückten scheu eine Hand vor den Mund. Boff dachte: Jetzt bist du berühmt. Genau das, was du nie werden wolltest.
    Nach dem Rundgang über den Markt ging der Betrieb in der Sprechstunde weiter. Jedes Mal brachte der Doctor eine Handvoll Patientinnen mit, die vor zehn Minuten noch nicht gewusst hatten, dass sie krank waren. So viele Patientinnen, so viele Arten, mit Krankheiten umzugehen. Für manche war der Gang zum Doctor wie der Gang ins Theater. Abwechslung, Unterhaltung, Treffen mit Bekannten. Es kam nicht selten vor, dass einePatientin, an der die Reihe war, andere Patientinnen aufforderte, ruhig schon vorzugehen. Sie habe etwas mit einer Freundin zu besprechen und brauche noch etwas Zeit. Stine beobachtete Frauen, die das Wartezimmer Richtung Ausgang verließen, ohne den Doctor gesehen zu haben.
    »Wir sollten ihnen Bier und Wein anbieten«, schlug Stine vor, »das wäre ein schöner Verdienst nebenbei. Was hereinkommt, teilen wir uns.« Sie warf einen Blick ins Gesicht des Doctors und fuhr fort: »Oder wir geben es für einen guten Zweck. Für Waisenkinder. So habe ich es auch von Anfang an gemeint.«
    Der Doctor verließ den Raum, aufatmend wischte sie sich die Stirn. Dabei hatte Stine in der Verwandtschaft einen Cousin, der in der Brauerei arbeitete und günstig an die Fässer kam. Nicht umsonst, aber günstig. Er klaute nur für den eigenen Bedarf, die entfernte Verwandtschaft musste zahlen, wenn auch weniger. Aber immer noch zu viel. Je länger Stine an den Cousin dachte, umso geringer wurde ihre Lust, mit dem Stinkstiefel Geschäfte zu machen.
    Und dann gab es die anderen Kranken, die so hinfällig waren, dass sie nicht auf eigenen Beinen zum Doctor gelangten. Selbst eine Fahrt mit der Kutsche oder dem Wagen verbot sich, denn sie waren arm. Zu denen ging Boff, wenn er davon erfuhr.
    Hier waren die Heiler zu Hause, hier fanden die Kräuterweiber ihre Kunden. Hier schauten die Chirurgen nach dem Rechten und schnitten an den Kranken herum, damit die nicht das Gefühl hatten, der Chirurg wäre umsonst gekommen. Manch eine arme Seele musste sich viermal am Tag unter Ächzen und Stöhnen einige Tropfen abringen, die der Urinbeschauer dann gegen den Himmel hielt und nicht selten sagte: »Eure Krankheit liegt klar auf der Hand: Ihr trinkt zu wenig.«
    Eine Plage waren die Pillenhändler, nicht zu verwechseln mit den Apothekern. Die Pillenhändler klingelten an den Türen wie ein Scherenschleifer und boten an, was sie bei sich hatten: Tabletten, Pulver, Pasten, zu Brei zerkochte Kräuter. Sie verfügten über einen Koffer mit Fächern, in denen sie hundert verschiedene Medikamente unterbrachten. Ein Blick auf den Kranken, und die richtige Medizin lag in ihrer Hand. Dreimal am Tag, sechsmal am Tag. Wer den Vorrat für eine Woche nahm, war praktisch schon gesund, und dann würde es auch billiger werden. Denn der Pillenhändler verwendete nur die besten Mittel, die selbst einen Fürsten gesund machen würden. »Jesus Christus würde von mir weggehen, und seine Wunden vom Kreuz wären verheilt! Nur durch die Kraft dieser Salbe, die ich Euch schenke, wenn Ihr mir dafür auch etwas schenkt: eine Münze oder zwei. Denkt daran, diese Medizin ist die kürzeste Verbindung zu Jesus Christus, dem Herrn. So werdet Ihr nicht nur gesund, sondern auch ein frommer Mensch, und die Sorge um das ewige Leben könnt Ihr getrost abhaken.«
    So legten sie ihre Opfer herein, führten sie hinters Licht und betrogen sie um die wenigen Münzen, die sie besaßen. Manchmal ließen sie dies und das mitgehen, was

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