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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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sah Boff und brach fast in Tränen aus. Sie nötigte ihn, aufzustehen. Boff musste einen Stuhl erklimmen, während die Schwester ihn umkreiste wie der Raubvogel die Beute. Sie nahm die Maße, während ihr Bruder den schockierten Medicus in Kenntnis setzte, dass alles mit einer Schneiderlehre begonnen hatte, die von kaufmännischem Talent ergänzt worden war. Am meisten hatte ihr aber geholfen, sich in der Männerwelt der Kaufleute durchzusetzen. Sie war darüber nicht zum Kerl geworden und versuchte nicht, sich männlicher als die Männer zu geben. Sie war auch bei den Gattinnen ihrer Kunden hoch angesehen.
    »In einer Woche sehen wir uns wieder«, kündigte die Schwester an und ließ die Männer allein. Wie beiläufig Wünsch den Familienstand der Schwester einfließen ließ! Wie beiläufig, fast gelangweilt, er ihre Wohnung, Vorlieben und Abneigungen erwähnte! »An Euch ist ein Kuppler verloren gegangen«, erwiderte Boff. Beide waren sich einig, dass ein Medicus ohne Beredsamkeit nicht denkbar wäre. In Wünschs Praxis verkehrte der Kaufmannsadel, die Beziehungen zur Nachbarstadt Leipzig waren vielfältig und eng. Von Anfang an nannte der Alteingesessene einen Grund für sein Interesse an Boff: »Ihr reist Euer Leben lang. Ich habe den Hintern nicht hochgekriegt und lange nicht darunter gelitten.«
    »Für mein Leben ist nicht jeder geschaffen.«
    »Ich wusste, dass Ihr das sagen werdet. Ihr seid zu höflich, um zu sagen: Mensch Wünsch, die Welt ist so groß und Halle ist so klein. Wie kann man sich ein Leben lang in einem Kreis von einem Dutzend Meilen bewegen?«
    Es war Wünsch ein Bedürfnis, eine Bilanz zu ziehen, die für ihn nicht schmeichelhaft ausfiel. Ein paar Mal warf Boff ihm noch Brocken hin: das Leben in der Mitte bedeutender Staaten und Regionen; Halle mit seiner stolzen Geschichte und der Universität. Mit diesem Pfund könne man wuchern, gerade als Mediziner. Hier säße man an der Schnittstelle zwischen Praxisund Lehre und Forschung. Eine vorbildliche Praxis sei schon viel, aber die Wahl zu haben, klüger zu werden in Gesellschaft großer Geister, sei auch nicht von Übel.
    »Seid Ihr deshalb hergekommen?«, fragte Wünsch und registrierte verblüfft, dass sich Boff um eine Antwort auf die klare Frage herumdrückte. Hatte die Wahl von Halle denn vielleicht persönliche Gründe, familiäre? Kein Zweifel, der Mann lavierte. Das machte Wünschs Sympathie nicht geringer, aber erstaunt war er doch. Ob Boff seine Zukunft in Halle sähe, sprach er nicht an, weil ihm die Antwort vorhersagbar erschien. Man übernahm nicht das Amt des Stadtphysicus, wenn man auf der Durchreise war. Über seine Ehe immerhin gab Boff erschöpfend Antwort. Große Liebe, großes Unglück. Kind tot, Frau tot. »Ich bin Witwer und will es immer noch nicht glauben.« Vier Jahre sei es her, seitdem war er mehr unterwegs als vorher. Lüneburg, die damalige Heimat, habe er vier Tage nach dem Unglück verlassen und seitdem nicht wieder betreten.
    So kamen sich die Männer näher, zumal Wünsch nicht verschwieg, selbst ein Gescheiterter in Sachen Liebe zu sein. Offiziell war er immer noch verheiratet, praktisch hatte er seine Frau seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Sie war ans Baltische Meer gegangen; sie, die Bauerstochter aus Aibling, aufgewachsen mit den Alpen vor der Tür, hatte als Erwachsene den Reiz des endlosen Horizonts entdeckt. Kein Mann war im Spiel gewesen, stattdessen eine Veränderung, die Wünsch, wie er zugab, noch tiefer aufgerührt hatte. »Ich wurde Zeuge, wie neben mir ein neuer Mensch zur Welt kam. Sie dachte anders, kleidete sich anders, sie sprach sogar anders und über andere Dinge.« Die beiden Kinder hatte sie mitgenommen, er hatte zugestimmt und sagte: »Insgeheim habe ich gedacht, mein großes Herz könnte ihr etwas bedeuten. Ich wollte sie zu Tränen rühren und ihr zeigen, was sie an mir hat. Es hat wohl nicht gereicht, was sie an mir hatte. Willkommen, Mit-Witwer, wir sind uns ähnlicher, als man auf den ersten Blick erkennt.«
    Wenn Wünsch ein einsamer Mann war, wusste er das geschickt zu verbergen. Er gab sich munter und beteuerte, sein Schicksal angenommen zu haben. Sogar angebändelt habe er inzwischen schon, mit einer sächsischen Witwe, die er über seine Schwester kennen gelernt hatte. »Ich habe nicht gedacht, dass man dermaßen aus der Übung kommen kann.«
    Weitere Berufskollegen lernte Boff bei anderer Gelegenheit kennen. Vor allem der Marktplatz erwies sich als Bekanntschaftsbörse.

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