Doctor Sleep (German Edition)
Sie war todmüde, aber das war nur ein Teil des Problems. Vor allem, erkannte er, akzeptierte nun auch ihr Bauch, was ihr Kopf schon seit Wochen wusste: Ihre Momo würde wirklich sterben. Und das vielleicht nicht friedlich.
Concetta, die inzwischen nur noch einen extrem leichten Schlaf hatte, war nach Mitternacht aufgewacht und hatte auf die Toilette müssen. Statt den Summer in Lucys Zimmer zu betätigen, damit die ihr die Bettpfanne brachte, hatte sie versucht aufzustehen, um allein ins Bad zu gelangen. Sie hatte es geschafft, die Beine auf den Boden zu bringen und sich aufzusetzen, doch dann war ihr schwindlig geworden, worauf sie vom Bett gefallen und auf dem linken Arm gelandet war. Der war nicht nur gebrochen, sondern regelrecht zertrümmert worden. Lucy, durch den wochenlangen Nachtdienst erschöpft, für den sie nicht ausgebildet war, war von den Schreien ihrer Großmutter aufgewacht.
»Sie hat nicht einfach um Hilfe gerufen«, erzählte Lucy. »Und sie hat auch nicht geschrien. Sie hat gekreischt wie ein Fuchs, dem eins dieser fürchterlichen Tellereisen ein Bein abgerissen hat.«
»Liebling, das muss ja schrecklich gewesen sein!«
Lucy stand im Parterre in einer Nische mit Snack-Automaten und – o Wunder! – einigen funktionierenden Telefonen. Ihr ganzer Körper schmerzte und war mit trocknendem Schweiß bedeckt (sie konnte sich selber riechen, und das war definitiv nicht Light Blue von Dolce & Gabbana), in ihrem Kopf hämmerte die erste Migräne seit vier Jahren. Sie wusste, dass sie Dave nie erzählen konnte, wie schrecklich es tatsächlich gewesen war. Was für eine miserable Erkenntnis sie gehabt hatte. Da bildete man sich ein, über die grundlegende Tatsache Bescheid zu wissen – eine Frau wird alt, sie wird schwach, sie stirbt –, und musste dann feststellen, dass das bei Weitem noch nicht alles war. Das wurde einem klar, wenn die Frau, die einige der großartigsten Gedichte ihrer Generation geschrieben hatte, in einer Pfütze der eigenen Pisse lag und von ihrer Enkeltochter kreischend forderte, dafür zu sorgen, dass der Schmerz aufhört , mach, dass er aufhört, o madre di Cristo, mach, dass er aufhört . Wenn man sah, dass der früher so glatte Unterarm wie ein Waschlappen verdreht war, und wenn man hörte, wie die Dichterin ihn als Scheißding bezeichnete und dann den eigenen Tod herbeiwünschte, damit die Schmerzen aufhörten.
Könntest du deinem Mann erzählen, dass du noch im Halbschlaf warst, als es passiert ist, und du dauernd Angst hattest, alles, was du tust, könnte das Falsche sein? Könntest du ihm erzählen, dass die Frau am Boden dir das Gesicht zerkratzt hat, als du sie anders hinlegen wolltest, und dass sie dabei geheult hat wie ein von einem Auto überfahrener Hund? Könntest du erklären, wie es war, deine geliebte Großmutter auf dem Boden liegen zu lassen, während du den Notruf gewählt und dann neben ihr gehockt hast, um auf den Rettungswagen zu warten? Wie du sie dazu gebracht hast, durch einen Flexhalm in Wasser aufgelöstes Oxycodon zu trinken? Dass der Rettungswagen einfach nicht kam und du an »The Wreck of the Edmund Fitzgerald« dachtest, diesen Song von Gordon Lightfoot mit der Frage, ob irgendjemand weiß, wohin die Liebe Gottes verschwindet, wenn die Wellen die Minuten in Stunden verwandeln? Die Wellen, die Momo überspülten, waren Wellen aus Schmerz; sie ging unter, und die Wellen rollten einfach immer weiter heran.
Als Momo wieder zu schreien anfing, hatte Lucy beide Arme unter sie geschoben und sie aufs Bett gehievt, mit einer unbeholfenen, ruckartigen Bewegung, die sie bestimmt tage-, wenn nicht gar wochenlang in ihren Schultern und im Kreuz spüren würde. Dabei hatte sie die Ohren vor Momos Schreien – Lass mich los, du bringst mich um! – verschlossen. Dann hatte sie sich keuchend und mit an den Wangen klebenden Haarsträhnen hingesetzt und an die Wand gelehnt, während Momo weinte, ihren scheußlich deformierten Arm hielt und fragte, warum Lucia ihr so wehgetan habe und warum sie so etwas erleiden müsse.
Endlich war der Rettungswagen gekommen, und ein Mann – Lucy kannte seinen Namen nicht, dankte ihm jedoch in ihren gestammelten Gebeten von Herzen – hatte Momo eine Spritze gegeben, die sie zum Schweigen brachte. Könntest du dem eigenen Mann erzählen, dass du dir gewünscht hast, die Spritze hätte Momo umgebracht?
»Es war tatsächlich ziemlich schrecklich« war alles, was sie sagte. »Ich bin so froh, dass Abra dieses Wochenende nicht
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