Doctor Sleep (German Edition)
verdienst!
Dann war Abra bei ihm. Er saß mit ihr in der spätsommerlichen Sonne auf der Bank vor der Stadtbücherei von Anniston. Sie hielt seine Hand. Hab keine Angst, Onkel Dan. Es ist alles gut. Bevor dein Vater gestorben ist, hat er diesen Schatten zerstört. Du musst keine …
Krachend flog die Tür der Bücherei auf, und eine Frau trat ins Sonnenlicht. Um ihren Kopf bauschten sich üppige dunkle Haare, aber ihr keck geneigter Zylinder fiel trotzdem nicht herunter. Er blieb sitzen wie festgezaubert.
»Ach, sieh mal an«, sagte sie. »Das ist ja Dan Torrance, der Mann, der einer schlafenden Frau ihr Geld gestohlen und zugelassen hat, dass ihr Kind totgeprügelt wurde.«
Sie lächelte Abra an, wobei sie einen einzelnen Zahn entblößte. Der sah so lang und scharf aus wie ein Bajonett.
» Was wird er dir wohl antun, Schätzchen? Was wird er dir wohl antun?«
10
Lucy weckte ihn um Punkt halb vier, schüttelte jedoch den Kopf, als er John wecken wollte. »Lass ihn noch ein wenig schlafen. Mein Mann schnarcht auch noch auf der Couch.« Sie lächelte sogar. »Dabei fällt mir die Geschichte vom Ölberg ein. Wie Jesus Petrus tadelt. ›Kannst du nicht einmal eine Stunde wach bleiben?‹, sagt er da. Oder so ähnlich. Aber Dave kann ich keinen Vorwurf machen, er hat es vorhin ja auch gesehen. Komm, ich hab Rührei gemacht. Du siehst aus, als könntest du was zu essen brauchen. Du bist dürr wie eine Bohnenstange.« Sie hielt inne. »Bruder«, fügte sie dann hinzu.
Dan war nicht besonders hungrig, folgte ihr jedoch gehorsam in die Küche. » Was hat Dave vorhin auch gesehen?«, fragte er.
»Ich bin Momos Unterlagen durchgegangen, um mir irgendwie die Zeit zu vertreiben, als ich in der Küche was klappern gehört hab.«
Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu der Ablage zwischen dem Herd und dem Kühlschrank. Dort stand eine Reihe altmodische Apothekergläser. Eines war umgefallen, und in dem Zucker, der sich daraus ergossen hatte, stand eine Botschaft.
Mir geht’s gut
Ich geh jetzt wieder schlafen
Hab euch lieb
J
Dan dachte an seine Schultafel, und obwohl er sich miserabel fühlte, musste er lächeln. Das war so typisch Abra.
»Offenbar ist sie kurz aufgewacht, um das zu schreiben«, sagte Lucy und machte sich daran, Rührei auf einen Teller zu schaufeln.
»Glaube ich nicht«, sagte Dan.
Sie hielt inne und sah ihn an.
»Also hast du sie aufgeweckt. Sie hat gespürt, dass du dir Sorgen gemacht hast.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Ja.«
»Setz dich.« Sie überlegte. »Setz dich, Dan . Ich glaube, an den Namen muss ich mich erst gewöhnen. Setz dich und iss.«
Dan war immer noch nicht hungrig, brauchte aber Kraftstoff. Also tat er wie befohlen.
11
Sie saß ihm gegenüber und trank ein Glas Saft aus der allerletzten Flasche, die Concetta Reynolds sich in ihrem Leben von Dean & DeLuca hatte liefern lassen. »Ein etwas älterer Mann mit einem Alkoholproblem und eine jüngere Frau, die sich von ihm beeindrucken lässt. So stelle ich mir das in etwa vor.«
»Ich mir auch.« Dan schaufelte sich mechanisch Rührei in den Mund, ohne etwas zu schmecken.
»Kaffee, Mr. … Dan?«
»Bitte.«
Sie ging an dem verschütteten Zucker vorbei zur Kaffeemaschine. »Er ist verheiratet, kommt durch seinen Job aber häufig auf Lehrerpartys, wo sich viele hübsche Mädels herumtreiben. Ganz zu schweigen von einer sexuell aufgeladenen Atmosphäre, wenn es spät wird und man die Musik aufdreht.«
»Klingt einleuchtend«, sagte Dan. » Vielleicht ist meine Mutter anfangs zu solchen Partys mitgegangen, aber dann war ein Kind da, um das man sich kümmern musste, und kein Geld für einen Babysitter.« Sie reichte ihm eine Tasse Kaffee, den er schwarz schlürfte, bevor sie fragen konnte, ob er Zucker und Milch wollte. »Danke. Jedenfalls ist was zwischen ihnen gelaufen. Wahrscheinlich in einem Motel. Auf dem Rücksitz seines Wagens war es sicher nicht – wir hatten einen VW Käfer. Selbst zwei brünstige Zirkusakrobaten hätte da nichts zustande gebracht.«
»Die gute alte Partyaffäre«, kommentierte John, während er hereinkam. Sein Haar war vom Schlafen ganz verstrubbelt. »So was kommt vor. Ist vielleicht noch Rührei da?«
»Massenhaft«, sagte Lucy. »Abra hat auf der Ablage da eine Botschaft hinterlassen.«
»Tatsächlich?« John ging hinüber, um sie sich anzuschauen. »Das war sie? «
»Ja. Ihre Handschrift würde ich überall erkennen.«
» Wahnsinn! Wenn sich das durchsetzt, kann die
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