Doctor Sleep (German Edition)
Gegend gondelte und sich in den letzten Wochen wahrscheinlich hauptsächlich mit der Frage beschäftigt hatte, wann ihr endlich Busen wuchsen, die größer als zwei Mückenstiche waren.
»Na, vielleicht gebe ich dir ja eine Chance«, sagte das kleine Aas. Ihr Selbstvertrauen und ihre Tollkühnheit waren unglaublich. »Allerdings – wenn du drauf eingehst, wische ich mit dir den Boden auf. Um die anderen kümmere ich mich erst gar nicht, die sind bekanntlich schon am Sterben.« Worauf das Aas sogar lachte. »Die ersticken an dem Baseballjungen, und das geschieht ihnen recht.«
» Wenn du kommst, kille ich dich«, sagte Rose. Eine ihrer Hände griff ihr unwillkürlich an die Kehle, schloss sich darum und begann, rhythmisch zuzudrücken. Das würde blaue Flecke geben. » Wenn du davonläufst, suche ich dich. Und wenn ich dich gefunden habe, wirst du stundenlang schreien, bis du stirbst.«
»Ich laufe nicht davon«, sagte das Mädchen. »Und wir werden schon sehen, wer von uns beiden schreit.«
» Wie viele wirst denn du mitbringen, um dir den Rücken freizuhalten? Na, meine Liebe? «
»Ich werde allein sein.«
»Das glaube ich dir nicht.«
»Lies meine Gedanken«, sagte das Mädchen. »Oder fürchtest du dich sogar davor?«
Rose schwieg.
»Klar fürchtest du dich. Schließlich erinnerst du dich, was beim letzten Mal passiert ist, als du’s versucht hast. Da hab ich es dir zurückgezahlt, und das hat dir gar nicht gefallen, oder? Hyäne. Kindermörderin. Feige Sau. «
»Hör auf … mich … so … zu … nennen.«
»Da, wo du bist, ist oben am Hang eine Plattform. Ein Ausguck. Dach der Welt heißt der, das hab ich im Internet gesehen. Komm am Montagnachmittag um fünf da hin. Aber allein. Falls der Rest von deinem Hyänenrudel nicht in dieser Lodge bleibt, werde ich es merken. Und dann verschwinde ich wieder.«
»Ich finde dich«, wiederholte Rose.
»Ach, meinst du?« Richtig höhnisch klang das.
Rose schloss die Augen und sah das Mädchen. Sie sah es auf dem Boden liegen und sich winden, den Mund voll stechender Hornissen. Aus ihren Augen ragten glühende Stäbe. Niemand wagt es, so mit mir zu sprechen. Niemals.
»Na schön, nehmen wir mal an, du findest mich. Aber wenn du das tust, wie viele von deinen dämlichen Freunden werden dann noch übrig sein, um dir zu helfen? Ein Dutzend? Zehn? Oder bloß noch drei oder vier?«
Das war Rose auch schon in den Sinn gekommen. Dass ein Teenager, den sie noch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte, zu denselben Schlüssen kam wie sie, brachte sie irgendwie am allermeisten in Rage.
»Dieser Crow kannte sich mit Shakespeare aus«, sagte das kleine Aas. »Kurz bevor ich ihn erledigt hab, hat er was von ihm zitiert. Ich hab da auch ein bisschen Ahnung, weil es in der Schule mal um Shakespeare ging. Wir haben bloß ein Stück gelesen, Romeo und Julia , aber Ms. Franklin hat uns ein Arbeitsblatt mit allerhand berühmten Sprüchen aus seinen anderen Stücken gegeben. So was wie ›Sein oder nicht sein‹ und ›Das ist der Anfang vom Ende‹. Wusstest du, dass das von Shakespeare ist? Ich nicht. Interessant, oder?«
Rose schwieg.
»Du denkst überhaupt nicht an Shakespeare«, sagte das kleine Aas. »Du denkst daran, wie gern du mich umbringen willst. Um das zu wissen, brauche ich nicht mal deine Gedanken zu lesen.«
»An deiner Stelle würde ich schleunigst davonrennen«, sagte Rose bedächtig. »So schnell und so weit, wie deine Beinchen dich tragen. Es würde dir zwar überhaupt nichts nützen, aber wenigstens würdest du ein wenig länger leben.«
Das kleine Aas ließ sich nicht einwickeln. »Da war noch so ein Spruch. Bei dem ging es darum, in die eigene Falle zu tappen. Ich hab den Eindruck, dass das gerade mit deiner Meute von fei gen Typen passiert. Ihr habt euch die falsche Sorte Steam rein gezogen, und jetzt sitzt ihr in der Falle.« Eine Pause entstand. »Na, bist du noch da, Rose? Oder bist du schon weggelaufen?«
»Komm nur her zu mir, meine Liebe«, sagte Rose. Sie hatte die Ruhe wiedergewonnen. » Wenn du mich auf der Plattform treffen willst, werde ich dort auf dich warten. Dann können wir gemeinsam die Aussicht genießen, ja? Und sehen, wer die Stärkere ist.«
Rose legte auf, bevor das kleine Aas noch etwas sagen konnte. Sie hatte zwar die Beherrschung verloren, obwohl sie sich geschworen hatte, das nicht zu tun, aber immerhin hatte sie das letzte Wort gehabt.
Oder vielleicht auch nicht, denn ein Wort, das dieses Aas dauernd gesagt
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