Doctor Sleep (German Edition)
der Bruder von Lucy oder David zu sein. Wenn wir morgen anhalten, um unseren Einkauf zu machen, musst du dir eine Sonnenbrille kaufen. Eine große. Und zieh deine Mütze bis zu den Ohren runter, damit man deine Haare nicht sieht.«
» Vielleicht sollte ich mir auch gleich eine Tube Haartönung besorgen, wenn ich schon dabei bin.«
» Werd bloß nicht frech, du alter Sack!«
Darüber musste Billy grinsen. »Lass uns an die Rezeption gehen, und dann bestellen wir uns was zu essen. Du siehst schon ein bisschen besser aus als vorhin. Als könntest du tatsächlich was vertragen.«
»Suppe«, sagte Dan. »Hat keinen Sinn, mein Glück überzustrapazieren.«
»Gut, dann eben Suppe.«
Er aß seinen Teller leer. Langsam. Und da er sich währenddessen daran erinnerte, dass es in vierundzwanzig Stunden vorüber sein würde – auf die eine oder andere Weise –, schaffte er es, sich nicht zu übergeben. Sie aßen in Billys Zimmer, und als Dan endlich fertig war, streckte er sich auf dem Teppichboden aus. Die Schmerzen in seinem Bauch ließen sich dadurch etwas besänftigen.
» Was machst du denn da?«, erkundigte sich Billy. »Ist das irgend so ein Yoga-Mist?«
»Genau. Hab ich mir von Yogi Bär abgeschaut. Und jetzt geh bitte noch mal alles durch.«
»Ich hab’s schon kapiert, Junge, mach dir keine Sorgen. Allmählich hörst du dich an wie Casey Kingsley.«
»Eine erschreckende Vorstellung. Und jetzt geh noch mal alles durch.«
»Abra pingt die Gegend von Denver ab, wie ihr das nennt. Wenn die jemand haben, der Abra empfangen kann, wissen sie, dass sie kommt. Und dass sie nun in der Nähe ist. Wir kommen etwas früher nach Sidewinder – sagen wir um vier statt um fünf – und fahren einfach an der Abzweigung zum Campingplatz vorbei. Sie werden unseren Wagen nicht sehen. Außer sie haben an der Straße einen Wachposten aufgestellt.«
»Ich glaube nicht, dass sie das tun.« Dan dachte an einen weiteren Sinnspruch der Anonymen Alkoholiker: Wir sind machtlos gegenüber Menschen, Orten und Dingen. Wie die meisten AA -Weisheiten war das zu siebzig Prozent wahr und zu dreißig Prozent Schwachsinn. »Abgesehen davon haben wir eben nie alles in der Hand. Sprich weiter.«
»Etwa eine Meile nach der Abzweigung kommt ein Picknickplatz. Den kennst du, weil du mit deiner Mama ein paarmal dort warst, bevor ihr für den Rest des Winters eingeschneit wurdet.« Billy unterbrach sich. »Sag mal, warst du da bloß mit ihr? Nie mit deinem Dad?«
»Der war beschäftigt. Hat an einem Theaterstück gearbeitet. Weiter.«
Billy gehorchte. Dan hörte ihm aufmerksam zu, dann nickte er. »Okay. Du hast verstanden.«
»Hab ich doch gesagt! Kann ich jetzt eine Frage stellen?«
»Klar.«
» Wirst du morgen Nachmittag eigentlich noch in der Lage sein, eine Meile weit zu marschieren?«
» Werde ich.«
Hoffentlich.
10
Dank einem frühen Start – um vier Uhr morgens, lange vor der Dämmerung – sahen Dan Torrance und Billy Freeman kurz nach neun eine Wolke, die sich über den ganzen Horizont spannte. Eine Stunde später, als sich das blaugraue Gebilde in eine Bergkette aufgelöst hatte, hielten sie in einem Kaff namens Martenville, Colorado. Dort, in der kurzen (und weitgehend verlassenen) Hauptstraße, sah Dan zwar nicht, worauf er gehofft hatte, aber dafür etwas noch Besseres: einen Laden für Kinderbekleidung namens Kids’ Stuff. Ein Stück weiter stand ein Drugstore, flankiert von einem verstaubt aussehenden Leihhaus und einer Videothek, an deren Schaufenster ein Hinweis gepinselt war: RÄUMUNGSVERKAUF – ALLES MUSS RAUS! Dan schickte Billy in den Drugstore, damit der sich dort eine Sonnenbrille besorgte, und trat dann durch die Tür von Kids’ Stuff.
Im Laden herrschte eine triste, hoffnungslose Atmosphäre. Er war der einzige Kunde. Hier ging eine gute Idee, die jemand gehabt hatte, unweigerlich baden, wahrscheinlich wegen den großen Kettenfilialen in den Einkaufszentren von Sterling und Fort Morgan. Wieso sollte man im eigenen Wohnort einkaufen, wenn man nur ein paar Meilen fahren musste, wollte man billigere Klamotten für das nächste Schuljahr besorgen? War doch egal, wenn das Zeug in Mexiko oder Costa Rica produziert wurde. Eine matt aussehende Frau mit einer matt aussehenden Frisur kam hinter der Theke hervor und schenkte Dan ein mattes Lächeln. Sie fragte, ob sie ihm helfen könne. Er sagte, das könne sie. Als er ihr erklärte, was er wolle, bekam sie große Augen.
»Ich weiß, dass es ein bisschen ungewöhnlich
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