Doener, Machos und Migranten
Die mit Sicherheit auch anstrengenden Wechselschichten bereiteten meiner Mutter keine größeren Probleme. Sie hatte nur ein Ziel: so schnell wie möglich mit dem Rest ihrer Familie vereint zu sein.
Ayse half meiner Mutter, sich sehr schnell in ihr neues Umfeld einzuleben. Sie zeigte ihr, wo sie einkaufen konnte, wo sich die Bank und der Arzt befanden. Und natürlich zeigte sie ihr den winzig kleinen Park, den es in Wattenscheid gibt. Ehrlich gesagt hat Wattenscheid nicht allzu viel zu bieten. Vielleicht tue ich der Kleinstadt, die inzwischen zu Bochum gehört, auch Unrecht. Im Vergleich zu Felixdorf war und ist Wattenscheid natürlich größer, aber im Vergleich zu Wien und zu Istanbul eben eine Kleinstadt. Meine Mutter lebte sich schnell ein und die Werktage vergingen rasend schnell.
Jeden Sonntag kam mein Vater mit dem Zug aus Nürnberg und besuchte meine Mutter. Sie gingen spazieren und die wenigen Stunden vergingen wie im Fluge, denn mein Vater musste ja am Abend wieder zurückfahren. Genau wie meine Mutter musste er am Montag wieder arbeiten. Der türkische Arbeitsvermittler hatte ihm eine Anstellung bei einer Baufirma beschafft, die in ganz Deutschland Häuser bauen ließ. Seine Bauarbeiterkollegen waren hauptsächlich türkischer, italienischer und griechischer Herkunft. Die Bauarbeit lagmeinem Vater allerdings überhaupt nicht. Da er nach wie vor unter Höhenangst leidet, konnte er nur bedingt auf den unteren Ebenen eines Rohbaus eingesetzt werden. Schon bei einer geringen Höhe kam seine Schwäche voll zum Tragen. Zum Glück wurde damals jede Arbeitskraft benötigt, sodass auch genügend Arbeit in den niedrigen Etagen zu verrichten war. In der heutigen Zeit wäre meinem Vater wahrscheinlich sofort gekündigt worden, wenn er sich geweigert hätte, den ersten Stock bzw. noch höhere Geschosse zu betreten. Seine Höhenangst hat er bis heute nicht überwinden können und hat sie leider an uns Kinder vererbt.
Das Arbeitsklima auf dem Bau empfand mein Vater zwar als nicht ganz so nett wie in Felixdorf, es war aber in keiner Weise unerträglich oder furchtbar. Die angeworbenen Arbeiter der ersten Generation waren allesamt sehr jung, hoch motiviert und einfach begeistert von Deutschland. Diese positive Art zu denken bemerke ich jedes Mal, wenn ich mich mit meinem Vater oder anderen Menschen der ersten Generation unterhalte. «Dogdun yer degil Doydun yer önemli», besagt ein altes türkisches Sprichwort. «Nicht wo du geboren bist, sondern wo du satt wirst, ist Heimat.» Mein Vater betont stets, wie dankbar und froh er ist, nach Deutschland ausgewandert zu sein. Es ist seine feste Überzeugung, dass wir uns im Laufe der Jahre in vielen Beziehungen verbessert haben. Seiner Meinung nach wäre unser Leben bei «Nichtauswanderung» aufgrund der vielen politischen Ereignisse und Konflikte und der oft schwierigen Wirtschaftslage in der Türkei nicht so gut verlaufen.
Der deutsche Lokalpatriotismus meines Vaters macht sich besonders bei Länderspielen bemerkbar. Er hält immer zur deutschen Elf. Im Vorfeld besorgt er sich jedes Mal Fanartikel, die er sogar im Sommerurlaub in einem Fünf-Sterne-Hotel in der Türkei trägt und dabei «seine» Mannschaft lauthals anfeuert. Meiner Mutter und mir ist das fürchterlich peinlich.Je mehr wir uns von seinem Verhalten distanzieren, desto mehr dreht mein Vater jedoch auf. Etwas Ähnliches konnte ich zu meiner Überraschung auch bei sehr vielen Landsleuten während der Fußballweltmeisterschaft 2006 beobachten. Ich besuchte damals meinen Bruder in Berlin. Sämtliche Dönerbudenbesitzer aus Neukölln und Kreuzberg hatten ihre Geschäfte mit deutschen Fahnen geschmückt. Fast jeder Türke hielt zu Deutschland.
Diese Begeisterung für Deutschland und die damit verbundene Einstellung im Arbeitsalltag zeigt sich deutlich bei einem Vergleich zwischen der ersten Arbeitergeneration und der zweiten bzw. dritten Generation. Die erste Generation sagte zu allem «ja» und nickte immer freundlich, die zweite bzw. dritte Generation reagiert kritisch bis ablehnend. Der türkische Comedian Kaya Yanar brachte den Unterschied wie folgt auf den Punkt: «Du hier putzen und Dreck wegmachen», sagt der Chef zu dem Türken. Der Türke (Gastarbeiter der ersten Generation) nickt freundlich und macht, was der Chef ihm gesagt hat. Die zweite Generation reagiert auf die gleiche Anweisung mit Kopfschütteln und antwortet: «Warum? Wieso? Mach doch selbst weg, Idiot.»
Warum reagierten die erste und
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