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Doener, Machos und Migranten

Titel: Doener, Machos und Migranten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betuel Durmaz
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zusammen gesessen und wir alle verlebten viele glückliche Momente zusammen. Die Freundschaft zwischen dem jungen Paar und meinen Eltern, die bereits in Istanbul gewachsen war, intensivierte sich noch. Leider sollte diese glückliche Zeit bald auf tragische Weise enden.
    Während eines ganz gewöhnlichen Arbeitstages erlitt Ayhan plötzlich einen Herzinfarkt und starb noch in der Fabrik. Sämtliche Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. Eine Tragödie, nicht nur für seine Ehefrau Kalbiye. Der Leichnam wurde mit dem Flugzeug in die Türkei überführt und Kalbiye kehrte nach der Beerdigung nicht mehr nach Österreich zurück. Sie blieb in der Türkei, nahm sich dort eine neue Wohnung und meldete sich bei meinen Eltern nie wieder. Sämtliche Briefe meiner Eltern blieben unbeantwortet. Wahrscheinlich war dies ihre Art, mit der Situation fertig zu werden. Meine Eltern trauerten Ayhan noch sehr lange nach und haben ihn und seine Frau Kalbiye bis heute nicht vergessen.
    Dieses traurige Ereignis trug natürlich mit dazu bei, dass meine Eltern ihre Auswanderungspläne nach Deutschland intensivierten. Wie der Zufall es wollte, meldete sich eines Tages ein Freund aus Esslingen bei meinem Vater und bat ihn, erneut nach Deutschland zu kommen. Noch einmal reiste er voller Hoffnung nach Esslingen. Dort stellte ihm sein Freundeinen Türken vor, der sich darauf spezialisiert hatte, Gastarbeiter an Firmen in ganz Deutschland zu vermitteln. Dieser Mann war sozusagen eine wandelnde Jobbörse.
    Nachdem ihm meine Eltern einen Dreimonatslohn als Vermittlungsgebühr überwiesen hatten, bekam mein Vater eine schriftliche Bescheinigung einer Baufirma, die ihn als Hilfsarbeiter engagierte. Meine Mutter erhielt eine entsprechende Bescheinigung über eine Arbeitsstelle in einer Textilfabrik. Mit diesen schriftlichen Arbeitsangeboten suchten meine Eltern das deutsche Konsulat auf und beantragten dort ein Arbeitsvisum. Auf eine erneute Gesundheitsuntersuchung wurde verzichtet.

    Es gab zunächst nur zwei Probleme: Die Textilfabrik meiner Mutter war in Gelsenkirchen und die Baufirma meines Vaters in Nürnberg. Das zweite Problem entstand aus dem ersten. Wie sollte die Versorgung der Kinder geregelt werden, wenn beide Arbeitsstellen nicht in einer Stadt waren? Ein ziemlich großes Problem, da Ganztagsbetreuung und Kitaplätze noch Erfindungen der Zukunft waren. So hieß es erneut, einen schweren Entschluss zu fassen, der – obwohl nur als kurzzeitige Übergangslösung geplant – eine emotionale Talfahrt für meine Eltern bedeutete: Wir Kinder mussten zurück in die Türkei, bis meine Eltern Jobs und Wohnung in einer Stadt gefunden hatten.
    Meine Tante kam für einen kurzfristigen Besuch aus Istanbul nach Österreich, um uns Kinder mitzunehmen. Ihr war dies nur recht, weil sie uns abgöttisch liebte. Sie ging in ihrer vorrübergehenden Mutterrolle, die ihr von Natur aus verweigert worden war, völlig auf. Insgeheim hoffte sie wohl, dass die Pläne meiner Eltern scheitern und sie ebenfalls wieder nach Istanbul zurückkehren würden. Dementsprechend gut gelaunt reiste sie mit einem Touristenvisum an. Drei Kofferwurden gepackt: einer für meinen Vater, einer für meine Mutter und einer für uns Kinder.
    Als Kleinkind von drei Jahren habe ich diese erneute Trennung ohne größere Schwierigkeiten verkraften können. Bei meinem Bruder sah das etwas anders aus. Er war mittlerweile sechs Jahre alt und besaß ein viel ausgeprägteres Bewusstsein. Dennoch war es für meine Mutter vermutlich am schwersten. Doch trotz aller Seelenqualen war die Zielrichtung klar. Im August 1971 siedelten meine Eltern ohne uns Kinder in zwei verschiedene deutsche Städte über.
3. Hier ist alles anders – Schritt für Schritt in die neue Heimat
    Nachdem meine Eltern ihre Zelte in Felixdorf abgebrochen hatten, reisten sie zunächst gemeinsam nach Wattenscheid. Der Jobvermittler hatte für sein stolzes Honorar nicht nur zwei Arbeitsstellen vermittelt, sondern auch eine Mitwohngelegenheit für meine Mutter organisiert. Neben ihren beiden Koffern hatten meine Eltern nur die Adresse der Wohnung und die Adresse der Arbeitsstelle in der Hand.
    Mein Vater begleitete meine Mutter in ihr neues Domizil. Es handelte sich um eine Ein-Zimmer-Wohnung, die sie sich mit einer anderen türkischen Gastarbeiterin teilen sollte. Erneut wartete alles andere als eine Luxusherberge auf sie, denn auch diese Wohnung war spartanisch eingerichtet. Der Küchenbereich wurde durch eine

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