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Doener, Machos und Migranten

Titel: Doener, Machos und Migranten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betuel Durmaz
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Während des Unterrichts kam Bakers Mutter in meine Klasse, um von mir zu erfahren, an welchem Ort Ali sich aufhielt. Es war klar, dass sie im Sinne ihres Mannes handelte und ihn deckte. Im Namen «Allahs» beschwor sie mich, ihr Alis Anschrift mitzuteilen. Ich kannte sie jedoch nicht – und selbst wenn, hätte ich sie natürlich nicht mitgeteilt – und konnte so guten Gewissens mit dem islamischen Schwur «Wallah, ich weiß es nicht», antworten. Bakers Mutter glaubte mir nicht und fing an, mich vor meiner Klasse zu beleidigen. Diesmal sollte ich mit Hilfe «Allahs» meine Strafe bekommen. Ich bat sie daraufhin höflich zu gehen. Fortan reagierte sie auf keinerlei Kontaktaufnahme mehr. Ich war nun «die böse Lehrerin» geworden.
    Ali kehrte nach einiger Zeit freiwillig zu seiner Familie zurück. Offensichtlich war der familiäre Zusammenhalt größer als die Furcht vor seinem Vater.

    In der Folgezeit kam es des Öfteren vor, dass Baker mehrere Tage nicht in der Schule erschien. Er erzählte mir, dass er auch nachts nicht nach Hause gehen würde. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits Kontakt mit dem Jugendamt aufgenommen. Bakers Familie war dort einschlägig bekannt, etliche Familienhelfer waren in dieser Familie schon gescheitert. Der Vater hatte die Mitarbeiter des Jugendamtes dermaßen eingeschüchtert, dass sie sich nicht trauten, die Familie alleine zu besuchen. Nun wurde für die Kinder eine Nachmittagsbetreuung organisiert. Baker und seine Brüder konnten nach der Schule in einer sozialen Einrichtung zu Mittag essen und anschließend an den dortigen Aktivitäten teilnehmen. Diese Angebote waren alle auf freiwilliger Basis. Niemand konnte Baker oder seine Geschwister dazu zwingen, regelmäßig dort hinzugehen. Zu Beginn taten sie es, aber auch hier hielten sie nicht lange durch.
    Als es schließlich zu einer Gerichtsverhandlung kam, bei der die langfristige Unterbringung des jüngeren Bruders in einem Kinderheim zur Debatte stand, entschieden die Richter gemäß dem Wunsch des Kindes. Ali (wie auch seine Brüder) wollte die Familie nicht verlassen. Der familiäre Einfluss war immens groß. Weder die Schule noch eine andere Institution konnten wirklich etwas ändern. Dennoch bot ich Baker immer wieder Gespräche und ein offenes Ohr an, selbst als er nicht mehr mein Schüler war.
    Bakers Unterrichtsbesuch wurde immer unregelmäßiger. Nach zehn Schuljahren wechselte er zu einer vom Arbeitsamt finanzierten Maßnahme. Diese Maßnahmen dienen dazu, den Förderschülern Einblicke in unterschiedliche Berufe zuermöglichen. Der praktische Anteil der Maßnahme überwiegt gegenüber dem theoretischen. Aber auch hier hielt Baker es nicht lange aus. Er brach die einjährige Maßnahme ab. Wie sein ältester Bruder musste er für einige Monate in den Jugendstrafvollzug. Die Liste seiner Vergehen wurde anscheinend immer länger. Ich hörte über eine andere libanesische Familie, dass selbst die Mutter irgendwann für mehrere Monate zu Verwandten nach Berlin geflohen war. Leider kehrte sie wieder zu ihrem Mann zurück.

    Nachdem ich ihn mehrere Jahre lang nicht gesehen hatte, stand Baker eines Tages plötzlich neben mir in der Fußgängerzone. Mittlerweile war er ein junger Mann geworden. Ich lud ihn zu einem Hamburger ein, doch er schlug das Angebot verlegen aus. Natürlich wollte ich wissen, wie es zu Hause lief. «Wie immer», war seine Antwort. «Du weißt doch, mein Vater ändert sich nie.» Leider konnte ich das nur mit einem Kopfnicken bestätigen und erinnerte ihn an einen gemeinsamen Gedanken: «Deinen Vater kannst du nicht ändern, aber du kannst versuchen, nicht so zu werden, wie er ist.» Baker lächelte und ich frage mich, wann wir uns wiedersehen werden.
2. «Haben Sie ein Problem damit, dass ich Kurdin bin?» – Demet
    Die erste Begegnung mit meiner Schülerin Demet fand nicht zu Beginn des Schuljahres und nicht in der Schule statt. Denn das Mädchen weigerte sich, in die Förderschule zu gehen. Demet war erst seit einem Jahr in Deutschland und besuchte eine Grundschule. Dort war sie in die 4. Klasse einer internationalen Förderklasse eingestuft worden. Dabei handelte es sich um eine speziell eingerichtete Klasse, in der Schülerinnen undSchüler verschiedener Nationalitäten mit noch unzureichenden Deutschkenntnissen auf den Besuch der altersgemäßen regulären Jahrgangsstufen vorbereitet werden. Es stellte sich jedoch heraus, dass Demet nicht nur beim Erlernen der deutschen Sprache Probleme hatte,

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