Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Doener, Machos und Migranten

Titel: Doener, Machos und Migranten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betuel Durmaz
Vom Netzwerk:
kognitive Beeinträchtigungen liegen hingegen nicht vor.
    Nach zwei Jahren in dieser Förderschulform wurde immer deutlicher, dass Baker die Leistungsanforderungen in den einzelnen Fächern nicht erfüllen konnte. Daraufhin wechselte er zu unserer Förderschule.

    Baker ist das dritte Kind von Kurden aus dem Libanon. Bevor seine Eltern als Asylanten nach Deutschland kamen, hatten sie also bereits eine Migration hinter sich. Aufgrund der schwierigen politischen und sozialen Verhältnisse in ihrem angestammten Lebensraum im Grenzgebiet von Türkei, Irak und Iran siedelten zahlreiche Kurden um. Sie ließen sich u.a. in Georgien, Jordanien, Zentralanatolien, der Westtürkei oder – wie Bakers Familie – im Libanon nieder. Baker hat fünf Geschwister: zwei ältere und zwei jüngere Brüder sowie eine kleine Schwester. Sein ältester Bruder besuchte die Gesamtschule, während seine übrigen Brüder Schüler unserer Förderschule waren.
    Ebenso wie seine Geschwister war Baker in Deutschland geboren. Er sprach einwandfrei Deutsch und libanesisches Arabisch. Durch seinen hellen Teint, seine braunen Augen und seine hellbraune Haarfarbe sah man ihm seine ausländische Herkunft nicht direkt an. Für sein Alter war er nichtbesonders groß. Er trug eine Igelfrisur, der er stets mit sehr viel Gel die richtige Form gab. Auf den ersten Blick wirkte Baker unglaublich ernst. In all den Jahren in meiner Klasse gab er sich stets verschlossen und erzählte kam etwas über seine Familie. Im Unterricht strengte er sich an und setzte alles daran, die Leistungen in den einzelnen Unterrichtsfächern zu erbringen. Er gehörte immer zu den ersten Schülern, die ihr Arbeitsblatt oder einen anderen schriftlichen Arbeitsauftrag erledigt hatten. Baker war in erster Linie an schnellen, nicht aber an ordentlichen Ergebnissen interessiert. Vor allem wollte er wegen seiner zügigen Arbeitsweise gelobt werden.
    Sehr schnell war klar, dass der Junge vor allem positiven Zuspruch benötigte, denn daran ließen es seine Eltern fehlen. Baker lechzte nach Aufmerksamkeit und letztendlich nach Liebe. Trotz seiner flüchtigen Arbeitsweise gehörte er zu den leistungsstärkeren Schülern der Klasse. Er verfügte über eine schnelle Auffassungsgabe und hätte bei einer entsprechend frühen Förderung im Elternhaus nicht Schüler einer Förderschule sein müssen.

    In allen schulischen Angelegenheiten war Bakers Mutter meine Ansprechperson. Ihr Äußeres spiegelte die strenge religiöse Ausrichtung der Familie wider. Bakers Mutter trug nicht nur ein schwarzes Kopftuch, sondern darunter ein weiteres, enges Haartuch, damit auf keinen Fall etwas von ihrem Haar zu sehen war. An ihrem Hals baumelte eine Kette mit zwei Anhängern – der eine war ein Umriss des Libanons in seinen Nationalfarben, der andere stellte die Kaaba in Mekka dar. Genau wie Baker und ihre anderen Kinder sprach die Frau sehr gut deutsch. In fast jeden ihrer Sätze fügte sie religiöse Satzteile ein. Wenn sie etwas hervorheben wollte, beschwor sie es mit «Wallah». «Im Namen Allahs» würde sie stets die Wahrheitsagen. Häufig fügte sie nach einer Äußerung ein «Inschallah» ein, was übersetzt «Wenn Allah will» bedeutet.
    Zunächst zeigte sich Bakers Mutter hoch erfreut darüber, dass ihr Sohn nun von einer muslimischen Lehrerin unterrichtet wurde. Auf eine für mich befremdliche Art versuchte sie, sich mit mir zu verbünden. Immer wieder betonte sie, dass ich ja eine von ihnen wäre, eine Muslimin, die wüsste, worauf es bei «uns» ankam. Diese strenge Form des muslimischen Fundamentalismus war und ist mir zwar fremd, aber ich wollte den Dialog mit Bakers Mutter in keiner Weise gefährden und ließ alle religiösen Ausführungen wortlos über mich ergehen.
    Im Laufe der Zeit änderte sich jedoch ihre Einstellung mir gegenüber. Es zeigte sich nämlich immer mehr, dass die schulischen Probleme ihres Sohnes keineswegs auf die religiösen Unterschiede zwischen einem muslimischen Schüler und seinen christlichen Lehrern zurückzuführen waren. Letzten Endes wollte Bakers Familie sich nicht in die westliche Gesellschaft integrieren. Zwar erwarben alle Familienmitglieder die deutsche Staatsbürgerschaft, die deutsche Gesellschaft selbst jedoch lehnten sie ab. Sie verachteten alle Nichtmuslime. Ihrer Meinung nach trugen sie die Schuld an allen Problemen der Familie.

    Bereits nach sehr kurzer Zeit machten sich Bakers Verhaltensauffälligkeiten auch in meinem Unterricht bemerkbar: Er störte

Weitere Kostenlose Bücher