Doener, Machos und Migranten
damit, dass ich Türkin bin?» Sieschüttelte vehement den Kopf und wir mussten beide lachen. Obwohl ich glaubte, dieses Thema wäre zwischen uns beiden geklärt, verschwieg sie mir, dass sie gelegentlich in andere Städte fuhr, um an Demonstrationen der Kurden teilzunehmen. Vielleicht fürchtete sie um die gute Beziehung zwischen uns. Einige ihrer Mitschüler erzählten mir von ihren gelegentlichen Aktivitäten und da ich merkte, dass sie Demet anscheinend unangenehm waren, beschloss ich, sie nicht darauf anzusprechen.
Außerhalb des Unterrichts unterhielten wir uns zur Verwunderung der anderen Schüler und des Kollegiums auf Türkisch. Normalerweise sollen die ausländischen Schüler zur Verbesserung ihrer Sprachkenntnisse nur Deutsch sprechen. Bei Demet jedoch war ich froh, dass sie ihre anfänglichen Sprechhemmungen mehr und mehr abbaute. Eine zusätzliche sprachliche Barriere wäre da kontraproduktiv gewesen. Mit der Zeit verstand sie immer besser Deutsch und bemühte sich, ihre Fehler beim Sprechen zu verbessern. Geübte Texte konnte sie immer flüssiger vorlesen, doch bereitete es ihr weiterhin große Mühe, deren Sinn zu erfassen. An dieser Stelle darf man nicht vergessen, dass Deutsch ihre zweite erlernte Fremdsprache war, denn sie hatte ja auch Türkisch lernen müssen, da ihre Muttersprache Kurdisch war. In den Unterrichtsfächern arbeitete sie inzwischen im Rahmen ihrer sprachlichen Möglichkeiten gut mit.
Demets Lieblingsfach war Sport, dort drehte sie richtig auf. Mit sehr viel Bewegungsfreude und Einsatz nahm sie alle Angebote des Sportunterrichts wahr und war stets ausgelassen und fröhlich. Bei den Mannschaftsspielen kämpfte sie um jeden Ball. Ihre konditionellen Leistungen verbesserten sich von Woche zu Woche.
Demet trainierte freiwillig für einen Stadtlauf und wurdeals Läuferin der Schulmannschaft aufgestellt. Sie hatte sich einen Stammplatz in der Fußballmannschaft der Schülerinnen erarbeitet und fuhr regelmäßig mit zu Turnieren. Ihre Eltern hatten mit solchen Fahrten ebenso wenige Probleme wie mit Demets Teilnahme an diversen Klassenfahrten. Andere muslimische Familien lehnen hingegen eine Teilnahme ihrer Kinder an derlei Aktivitäten strikt ab, weil sie nicht möchten, dass ihre Töchter mehrere Tage außer Haus schlafen. Demets Familie war in dieser Hinsicht wirklich tolerant und moderat.
Im Laufe der Jahre entwickelte sich aus der einst so verschlossenen, aber stets fröhlichen Demet, die stets wie ein kleines Mädchen vom Dorf wirkte, eine ernste junge Dame. Sie achtete auf ihre Figur und nahm bewusst etliche Kilo ab. Eines Tages, als sie bereits nicht mehr meine Schülerin war, trug sie ein Kopftuch – stets kunstvoll gesteckt und farblich passend zur übrigen Kleidung. Insgesamt zog sie sich mittlerweile sehr modisch an und begann sich zu schminken. Ihr Äußeres entsprach dem muslimischen Chic, den man mittlerweile bei vielen jungen Türkinnen beobachtet und zu dem das Kopftuch nicht so recht passen will. Natürlich sprach ich sie auf ihr Kopftuch an. Sie gab an, es freiwillig zu tragen, weil sie sich zu ihrem Glauben bekannte und das auch nach außen hin demonstrieren wollte. Leider ließ ihre Sportbegeisterung spürbar nach und sie ging auch nicht mehr zum Schwimmunterricht. Auf mich wirkte sie lange nicht mehr so unbekümmert wie ich sie aus meiner Zeit als Klassenlehrerin in Erinnerung hatte. Sie hatte stark melancholische Züge. Was zu dieser Entwicklung geführt hatte, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.
Demet verließ die Förderschule nach der 10. Klasse mit dem üblichen Abgangszeugnis. Darin werden die einzelnen Fächer schriftlich benotet, d.h. es finden sich u.a. Angaben zu ihrenRechen-, Sprach- und Rechtschreibfähigkeiten, ebenso zum Arbeitsverhalten. Ein solches Abgangszeugnis ist von der Hierarchie und der Qualität weniger «wert» als ein Hauptschulabschluss.
Nach den Eignungstests des Arbeitsamts begann Demet – wie ihr ehemaliger Klassenkamerad Abdul – eine einjährige Maßnahme für Schüler ohne Hauptschulabschluss. Im Anschluss an diese Maßnahme finden die Teilnehmer mit viel Glück in einem der Berufe, die sie kennen gelernt haben, einen Ausbildungsplatz, den ihnen das Arbeitsamt zuteilt.
Noch heute besucht Demet mich gelegentlich in der Schule. Einmal erzählte sie mir, dass sie seit längerer Zeit einen Aushilfsjob als Verkäuferin in einer Bäckerei im Essener Hauptbahnhof habe. Ihr Arbeitgeber sowie ihre Arbeitskollegen sind Kurden. In
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