Doener, Machos und Migranten
der Regelschule verbleibt. Hakis Eltern jedoch waren einsichtig, sodass ihrem Sohn eine solche Verzögerung erspart blieb.
Während des gesamten Gespräches saß Haki mit im Klassenraum und strahlte mich an. Als die Inhalte weitgehend geklärt waren, ging ich gemeinsam mit der Familie die Stufen hinunter – ein äußerst mühseliges Unterfangen. Nachdem der Vater im Rollstuhl saß, fragte ich die Familie nach ihrer Adresse. Ihre Wohnung war in einer Viertelstunde Fußweg zu erreichen. Ich bot an, sie nach Hause zu fahren, was dankbar angenommen wurde. Der Rollstuhl ließ sich zusammenklappen und wurde im Kofferraum verstaut. Die Mutter und Haki nahmen hinten auf der Rücksitzbank Platz. Der Vater wurde mit Unterstützung aller auf den Beifahrersitz gesetzt. Leider passte die Schwester nicht mehr in meinen Kleinwagen. Sie lief den Weg zurück, doch es schien ihr nichts auszumachen, da sie offensichtlich erleichtert war, ihren Vater nicht mehr schieben zu müssen.
Als ich mich vor der Wohnung der Familie verabschieden wollte, umarmten mich die Eltern ganz plötzlich und küssten mich auf die Wangen. Anschließend wollten sie mich unbedingt zu einer Tasse Kaffee in ihre bescheidene Wohnung einladen. Ich war von der Herzlichkeit dieser Menschen ergriffen. Mit großer Mühe vertröstete ich sie mit dem islamischen Wort «Inschallah»– «Wenn Allah will, ein anderes Mal». Meine Zeit als allein erziehende Mutter war leider knapp bemessen.
Haki lebte sich trotz seines zurückhaltenden Wesens in die neue Klassengemeinschaft schnell ein. Aufgrund seiner mangelnden Deutschkenntnisse fehlte ihm zunächst der Mut, sich aktiv am Unterricht zu beteiligen. Dennoch war er stets aufmerksam. Auch bereitete es ihm keinerlei Probleme, mit anderen Kindern im Team zusammenzuarbeiten. Mit zusätzlichen Förderstunden in Kleingruppen nahm Haki am so genannten DaZ-Unterricht (Deutsch als Zweitsprache) teil. DieserUnterricht ermöglicht Kindern eine Vielzahl von sprachlichen Aktivitäten, die in diesem Umfang im Klassenunterricht oder in einer Großgruppe nicht gegeben wäre.
Im DaZ-Unterricht ist der Inhalt wichtiger ist als die Form, d. h. die Schüler sollen sich mitteilen ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob sie sich auch «richtig» ausgedrückt haben. Gerade zurückhaltende Schüler wie Haki reagieren sehr sensibel auf das Verhalten ihres Gegenübers und verschließen sich, wenn ihr Gesprächspartner mehr auf die grammatisch richtige Form als auf den Inhalt achtet. Die sprachlichen Inhalte werden auch über verschiedene Sinne und über differenzierte Materialien vermittelt. Letztere ermöglichen eine Wiederholung des Erlernten zur Vertiefung und Festigung und sollen ebenfalls dazu beitragen, dass die Schüler erfolgreicher am Regelunterricht teilnehmen können. Vereinfacht dargestellt, handelt es sich um einen speziellen Förderunterricht für Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist.
Im Klassenverband bemühte sich Haki, die Aufgaben sorgfältig und konzentriert zu erledigen. Sein Fleiß und seine Ausdauer waren überdurchschnittlich. In den ersten Jahren besuchte er die Schule mit viel Freude. Von seinen Mitschülern wurde Haki als zuverlässiger, ruhiger Klassenkamerad mit sehr gutem Sozialverhalten anerkannt. Er selbst jedoch hatte wenig Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und musste dringend weiter gefördert werden.
Im Unterrichtsfach Sport war Haki wie ausgewechselt. Die Bewegung bereitete ihm große Freude und seine Leistungen waren immer auf hohem Niveau. Auch hier zeigte er in Mannschaftsspielen Teamgeist und Fairness. Jedes Mal war Haki bis zum Schluss der Stunde an meiner Seite und half mir schweigend, die restlichen Sportutensilien zu verstauen. Irgendwie war er stets zur Stelle, und ich hatte das Gefühl, dass er allessehr genau beobachtete. Wenn ich mich dann für seine Hilfe bedankte, schaute er verlegen zu Boden und lächelte.
Das gleiche Verhalten zeigte er auch bei unseren Klassenfahrten. Suchte ich beispielsweise den Klassenrucksack mit unseren Getränken und Keksen, wusste Haki immer, wo er war oder hatte ihn schneller auf dem Rücken als ich hinschauen konnte. Er stand meinem kleinen Sohn, wenn er als Kindergartenkind bei den Klassenfahrten dabei war, zur Seite, sobald dieser nur im Ansatz Hilfe brauchte. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich hätte diesen Bonus bei ihm, weil ich seine Eltern nach Hause gefahren hatte.
Als wir im Mai 2007 mit unserer Klasse für eine Woche nach Norderney fuhren,
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