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Doener, Machos und Migranten

Titel: Doener, Machos und Migranten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betuel Durmaz
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auf und verfolgten fassungslos die Situation, einige hatten Panik in den Augen.
    Da an ein vernünftiges Gespräch nicht zu denken war, gab ich meinem flinkesten Schüler den Auftrag, sofort den Hausmeister zu holen. Glücklicherweise kamen beide schnellzurück. Ibrahims Vater wurde unmissverständlich klargemacht, dass sie das Klassenzimmer zu verlassen hätten. Gemeinsam mit seiner Frau suchte er nun den Schulleiter auf und beschwerte sich über die ungerechte Behandlung seines Sohnes: «Ibrahim zuckerkrank, Ibrahim viel wütend. Meine Frau zuckerkrank. Wir alle wütend. Ganze Nacht wir nicht geschlafen, wegen Frau Durmaz.» Immer wieder wurde auf den hohen Zuckerspiegel und mein mangelndes Fingerspitzengefühl hingewiesen. Ich war schuld am Ausraster Ibrahims und nicht die täglich in der Frühstückspause von ihm verzehrten Schokoladenbrötchen, Chips und stark gezuckerten Getränke wie Cola und Fanta.
    Alle beruhigenden Argumente fruchteten nicht, ganz im Gegenteil. Die Situation heizte sich mehr und mehr auf, zumal beide Elternteile zu regelrechten Brüllattacken ansetzten.
    Schließlich forderte der Schulleiter sie ultimativ auf zu gehen und am nächsten Tag – wenn sich die Wogen wieder geglättet hätten – zu einem klärenden Gespräch mit allen Beteiligten in der Schule zu erscheinen. Für diese konservativ-religiöse Familie war ich mit meinem westlichen Lebensstil und Kleidung eine Reizfigur. Der Vorfall bot eine willkommene Gelegenheit, ihren untergründigen Hass auf mich zu entladen.
    Pünktlich nach Schulschluss erschienen am nächsten Tag Ibrahims Eltern mit ihrem Sohn im Schulleiterzimmer. Wesentlich ruhiger, aber immer noch uneinsichtig, bestanden sie auf ihrer Version der Geschichte. Ibrahim war keinesfalls der Täter, sondern das Opfer. Der Mitschüler habe Ibrahim beleidigt und provoziert. Daher sei es nur allzu verständlich gewesen, dass er ihn schlagen wollte. Dass ich ihn daran gehindert hatte, stieß auf völliges Unverständnis. Die erzieherische Maßnahme, Ibrahim zur Beruhigung und zur Sicherheit des anderen Schülers in den Trainingsraum zu schicken, wollten sie nicht akzeptieren.
    Bereits in den nächsten Tagen meldete sein Vater Ibrahim an einer anderen Förderschule im benachbarten Stadtteil an. Glücklicherweise konnte sich Fatme gegen eine solche Ummeldung wehren. Ihre Eltern hätten sie am liebsten auch nicht länger an unserer Schule belassen. Ich unterrichtete ihre Tochter schließlich immer noch in Mathematik und Sport. Fatme erzählte mir im Vertrauen, wie sehr sie darum hatte kämpfen müssen, an unserer Schule zu bleiben.

    Ibrahim sehe ich manchmal beim Schwimmunterricht im Schwimmbad. Doch weder er noch seine Eltern, die ich gelegentlich ebenfalls sehe, grüßen mich. Über Fatmes Leistungen erkundigen sie sich nur noch bei ihrer Klassenlehrerin und nicht mehr bei mir.

    Trotz dieses Vorfalls entwickelte sich mein Verhältnis zu Fatme weiterhin positiv. Mittlerweile ist sie im Teenageralter und vertraut mir die altersbedingten Probleme mit ihren Eltern an. Sie versuchen Fatme zu kontrollieren, wo sie nur können. Ständig rufen sie im Sekretariat der Schule an und wollen wissen, ob Fatme bereits Schulschluss hat oder nicht. Die Eltern haben ihr jegliche Treffen mit ihren Freundinnen untersagt. Kommt sie etwas später nach Hause, werfen sie ihr geradeheraus Kontakt mit männlichen Bekannten vor. Nicht selten kommt es zu körperlichen Strafen.
    Fatme sucht regelmäßig die Mädchensprechstunde auf, die eine Sozialarbeiterin des Stadtteils in unserer Schule durchführt. Das Angebot, gemeinsam mit ihren Eltern zu sprechen, lehnt sie aus Furcht vor weiteren Schlägen vehement ab. Leider hat Fatme aufgrund ihrer geringen intellektuellen Fähigkeiten nur wenige Möglichkeiten, mit ihrer Situation fertig zu werden. Manchmal spricht sie auch davon, wegzulaufen oder sich das Leben zu nehmen. Dann aber tritt ihr dezidiertesVerantwortungsbewusstsein wieder ein und sie sagt: «Das kann ich dem Kleinen nicht antun.» Damit ist ihr kleiner Bruder Mohammed gemeint.
    Ich befürchte, dass Fatme ein ähnliches Schicksal droht wie ihrer älteren Schwester Nesrin. Sie hat unsere Schule vor einigen Jahren verlassen. Seitdem verbringt sie ihren Tag damit, den Haushalt zu erledigen. Als sie noch zur Schule ging und ein Praktikum in einem Drogeriemarkt absolvierte, wurde sie täglich von ihrem Vater kontrolliert. Jedes Mal lief er eine Weile im Laden herum und vergewisserte sich, dass sich seine

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