Doener, Machos und Migranten
tat sie dies mit solch leiser Stimme, dass selbst ihre Tischnachbarin sie nicht verstand. Fatme hatte viele Freundinnen in der Klasse und in der Schule. Sie mochte diesen Ort, wo sie ihre Sozialkontakte ausleben durfte.
Ich unterrichtete Fatme als Fachlehrerin in Mathematik. Bevor sie meine Schülerin wurde, hatte ich ihren jüngeren Bruder Ibrahim in meiner 4. Klasse. Die intellektuellen Fähigkeiten des Jungen sind ähnlich schwach ausgeprägt wie die seiner Schwester. Im Gegensatz zu ihr ist er allerdings nicht so praktisch veranlagt. Das muss und musste er auch aufgrund seines Geschlechts nicht. Er wurde von den weiblichen Familienmitgliedern «rundum» versorgt und benahm sich im Unterricht oftmals wie ein Pascha. Es dauerte mehrere Wochen, bis ich ihn dazu bewegen konnte, Klassendienste, die nicht seinem männlichen Weltbild entsprachen, zu übernehmen. Wenn er Kakao und Milch beim Hausmeister abholen sollte, war das kein Problem. Ganz anders verhielt es sich bei Diensten, die im weitesten Sinn mit Ordnung und Sauberkeit zu tunhatten, beispielsweise dem Wischen der Tafel oder dem Fegen des Klassenzimmers. Hier musste er nicht nur überredet werden, sondern benötigte neben viel Zuspruch auch noch eine Menge Übung. Die männlichen Mitglieder einer muslimischen Familie genießen sehr viel mehr Freiheiten als die weiblichen, Hausarbeiten aller Art sind vielen von ihnen gänzlich fremd. So war es immer selbstverständlich, dass Ibrahim und Ali an Klassenfahrten teilnehmen durften, während es bei Fatme und Nesrin immer viel Überzeugungsarbeit kostete, die Eltern zu einer Einverständniserklärung zu bewegen.
Fatmes Eltern kamen zu allen Elternsprechtagen und waren sehr an den schulischen Leistungen ihrer Kinder interessiert. Oftmals hatte ich das Gefühl, sie würden mich sprachlich wie auch inhaltlich nicht verstehen. «Fatme gut?», lautete ihre immergleiche Frage. Wenn ich das «gut» auf ihr Verhalten bezog, war sie mehr als gut und ihre Eltern nickten. Ging ich auf die einzelnen Lernbereiche ein, konnten sie mir allerdings nicht folgen. Mehrmals wollten sie von mir wissen, ob ich tatsächlich auch Muslim sei. Meine westliche Kleidung sprach in ihren Augen eine andere Sprache und sie konnten sich vermutlich nicht vorstellen, wie hier Glaube und Kleidung zusammenpassen sollten. In ihre Weltanschauung passte dieser vermeintliche Gegensatz jedenfalls nicht. Ich hatte stets den Eindruck, als würden sie mich bei derlei Gesprächen kritisch beäugen.
Eines Tages bedrohte Ibrahim nach Schulschluss einen Schüler auf dem Schulhof. Zufällig wurde ich Zeugin dieses Vorfalls, als ich mich gerade auf dem Weg ins Lehrerzimmer befand. In meinem Beisein drohte ein völlig außer sich geratener Ibrahim seinem Gegenüber Schläge an. Eine ruhige und konstruktive Klärung der Situation war zu diesem Zeitpunkt nicht mehrmöglich, denn Ibrahim war keinen sprachlichen Äußerungen zugänglich – er tobte. Da er sich nicht beruhigte und den anderen Schüler weiterhin aggressiv mit Worten und seiner drohenden Körperhaltung attackierte, nahm ich Ibrahim mit in den Trainingsraum. Dort setzte ich die anwesende Kollegin von den Ereignissen in Kenntnis und bat sie, das Problem mit Ibrahim zu besprechen und eine Klärung herbeizuführen, sobald Ibrahim sich beruhigt hatte. Das völlig verängstigte Opfer konnte währenddessen unbeschadet nach Hause laufen.
Bereits am Nachmittag klingelte zu Hause mein Telefon. Der Hausmeister der Schule berichtete mir, dass Ibrahims Eltern nach Schulschluss gemeinsam mit ihrem Sohn zur Schule gekommen waren und aufgebracht nach mir verlangt hätten. Als sie erfuhren, dass ich nicht mehr anwesend war, seien sie wütend von dannen gezogen. Am nächsten Morgen riefen sie um 7 Uhr in einem Zehnminutenrhythmus in der Schule an und wollten wissen, ob ich schon eingetroffen sei.
Mit dieser Information, die sich sehr schnell als Vorwarnung herausstellen sollte, ging ich in meine Klasse, die sich auf dem Unterstufenschulhof ein ganzes Stück vom Hauptgebäude entfernt befand. Ibrahim war an diesem Tag nicht da. Etwa eine halbe Stunde nach Unterrichtsbeginn war plötzlich Lärm auf dem Gang zu hören, dann rissen Ibrahims Eltern die Klassentür auf und brüllten ohne Vorwarnung und vor den Augen meiner Schüler auf mich ein. Die Situation wirkte nicht nur auf mich bedrohlich, sondern verständlicherweise auch auf die Kinder. Eine Schülerin fing sofort an zu weinen, andere sprangen von ihren Stühlen
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