Doener, Machos und Migranten
Differenzierungsunterricht teilnehmen. Dieser Differenzierungsunterricht ist für die leistungsstärkeren Schüler der beiden 7. Klassen gedacht. Hier werden sie entsprechend ihrer Leistungen in Hinblick auf einen möglichen Hauptschulabschluss nach Klasse 10 gefördert.
Nach einigen Wochen suchte mich Lauras Mutter noch vor dem Unterricht auf und bat mich um ein Gespräch unter vier Augen. Sie wirkte sehr aufgebracht. Als ich die Tür hinter uns geschlossen hatte, fing sie sofort an zu weinen. Es dauerte keine zehn Minuten und sie begann, mir ihr Herz auszuschütten. Sie erzählte von ihren Eheproblemen, die täglich zu massiven Streitereien führten. Die Auseinandersetzungen wurden häufig vor den Kindern ausgetragen. Lauras Mutter sah nur noch einen Ausweg – ihren Mann zu verlassen. Sie tat mir leid, denn sie schien völlig verzweifelt zu sein. Warum sonst sollte sie ihre Eheprobleme mit einer Klassenlehrerin, die sie erstvor kurzem kennen gelernt hatte, besprechen? Viel tun konnte ich nicht. In zehn Minuten würde es schellen, Kollegen kamen ins Zimmer und wollten das Telefon benutzen. Ich konnte Lauras Mutter lediglich zuhören und ihr einen anderen, günstigeren Gesprächstermin anbieten. Die Frau wollte mich über ihre weiteren Schritte informieren.
Tatsächlich ließ sie ihren Worten innerhalb kürzester Zeit Taten folgen. Sie fand eine neue Wohnung, in die sie mit ihren Kindern zog. Erneut stand sie ohne Ankündigung kurz vor Unterrichtsbeginn vor dem Lehrerzimmer und wollte mit mir sprechen. Sie teilte mir ihre neue Anschrift mit und erzählte mir von ihrem neuen Lebensgefährten. Insgesamt wirkte sie gefestigter und bei weitem nicht mehr so unglücklich wie bei unserem letzten Gespräch. Innerhalb von nur zwei Wochen hatte sich ihr Leben grundlegend verändert: neue Wohnung, neuer Lebensgefährte. Mich verwundern solche rasanten Veränderungen nicht mehr. Lauras Mutter ist in dieser Hinsicht kein Einzelfall. Manchmal allerdings frage ich mich, wo die Frauen den vermeintlichen neuen Partner treffen und wie solche Familien es immer wieder schaffen, innerhalb kürzester Zeit mehrfach umzuziehen. Mein eigener letzter Umzug liegt zehn Jahre zurück, und ich hatte hierfür zwei Jahre lang nach einer passenden Wohnung gesucht.
In dieser Zeit des Übergangs bot ich Laura mehrfach Gespräche an. Zu meiner Überraschung wirkte sie nicht traurig oder verstört über die Trennung ihrer Eltern. Im Gegenteil, sie war die ewigen Streitereien ihrer Eltern leid und freute sich auf das neue Leben mit ihrer Mutter. Zu ihrem Vater hatte sie nach wie vor Kontakt und traf sich mit ihm. Einmal erzählte sie mir, dass ihr Vater am Abend zuvor ihre Wohnungstür eingetreten hätte und dass die Polizei ihn mitnehmen musste.Von nun an war es Lauras Vater richterlich untersagt, seine Noch-Ehefrau zu sehen bzw. sich ihr zu nähern. Trotz solcher Vorkommnisse wirkte Laura nicht sonderlich verzweifelt. Mir fielen auch keinerlei Verhaltensauffälligkeiten an dem Mädchen auf. Das allerdings verwunderte mich. Alles schien ein wenig zu glatt zu gehen.
Eines Morgens stand Lauras Mutter erneut unangemeldet vor dem Lehrerzimmer und wollte mich dringend sprechen. Im Nebenraum erzählte sie mir eine mehr als unangenehme Geschichte. Angeblich hatte sich Laura in ihren neuen Lebensgefährten verliebt. Diese Liebe sei zum Glück jedoch nur einseitig. Laura würde nicht mehr mit ihr sprechen und setze alles daran, Zeit mit dem Partner der Mutter allein zu verbringen. Wieder wusste die Frau weder ein noch aus und brach in Tränen aus. Ich versprach ihr, mit Laura zu sprechen, da deutlich geworden war, dass Mutter und Tochter ein massives Kommunikationsproblem hatten.
Würden sich am Ende vielleicht Abgründe auftun, obwohl Lauras Mutter mir hoch und heilig versichert hatte, dass ihr neuer Partner Laura keine Hoffnung auf eine gegenseitige Liebschaft machen würde? Die ganze Geschichte kam mir mehr als merkwürdig vor. Lauras Mutter hatte eine Begabung, die unmöglichsten Zeitpunkte für schwierige Gespräche zu wählen. Ich sagte ihr zu, sie nach Schulschluss anzurufen.
Während des Unterrichts konnte ich kaum an etwas anderes denken als an diese Sache. Entsprechend schwer fiel es mir, mich auf meine eigentliche Aufgabe zu konzentrieren. Einmal mehr wurde mir bewusst, dass wir im Laufe der Universitätsausbildung und auch in der folgenden Lehramtsanwärterzeit, die ja immerhin zwei Jahre umfasst, auf solche Probleme nicht im Geringsten
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