Doener, Machos und Migranten
Umzug der Eltern, sondern massive Differenzen mit der ehemaligen Klassenlehrerin.
Lauras Schülerakte quoll fast über von Protokollen und Aktennotizen, die nach unzähligen Vorkommnissen von der Klassenlehrerin geschrieben worden waren. Hauptursache für Lauras Probleme war demnach ihr Verhalten im Klassenverband. Das Mädchen hielt sich weder an Regeln noch an Absprachen, erledigte die Hausaufgaben nur äußerst selten und vergaß ständig ihre Arbeitsmaterialien. Zudem war es häufig in Konflikte verwickelt und wies wochenlange Fehlzeiten auf. Eigentlich stellte sie einen Klassiker der Schulform «Förderschule» dar. Derlei Verhaltensweisen sind mir auch von etlichen meiner Schüler bekannt. Unter die Rubrik «Klassiker» fällt Laura aber auch, weil ihre Eltern selbstverständlich die Ursache für diese Verhaltensweisen nicht bei der Tochter oder sich selbst suchten. Vielmehr hatten sie die Klassenlehrerin in zahlreichen Briefen, die ebenfalls in der Schülerakte vorhanden waren, für sämtliche negativen Vorkommnisse und Entwicklungen verantwortlich gemacht. Die hohen Fehlzeiten wurden von den Eltern immer wieder mit den unterschiedlichsten und abenteuerlichsten Behauptungen entschuldigt. Wenn die Lehrerin von Laura verlangt hatte, die fehlenden Hausaufgaben in der Schule nachzuarbeiten, hagelte es am nächsten Tag einen bitterbösen Brief. Die Mutter unterstellte der Lehrerin, etwas gegen Laura zu haben und ihre persönliche Wut an dem Mädchen auszulassen. Schrieb Laura eine schlechte Klassenarbeit, war natürlich die Lehrerin daran Schuld, weil entweder die Aufgaben zu schwer gewesen waren oder weil sie Laura die Dinge nicht so erklärt hätte wie den anderen Schülern. Wie man den übrigen Schülern etwas erklärt, ohne dass dabei auch Laura etwas gelernt hat, bleibt wohl das Geheimnis ihrer Mutter. Es verdeutlichtaber, dass das Verhältnis zwischen Eltern und Lehrerin hoffnungslos zerrüttet war.
Nach unzähligen Briefen, deren Ton zwischen Emotionalität und beleidigender Schärfe wechselte, hatten sich die Eltern schließlich für einen Schulwechsel entschieden. Den längeren Schulweg mit den damit verbundenen Kosten für den öffentlichen Nahverkehr wollten sie gerne auf sich nehmen – wenn nur ihre Tochter mit dieser Lehrerin nicht mehr konfrontiert werden würde.
Ich lernte Laura und ihre Eltern eines Morgens im Schulleiterzimmer kennen. Sofort fingen Vater und Mutter an, über die mir unbekannte Kollegin herzuziehen. Schnell wurde deutlich, dass sich eine Menge Wut bei ihnen angestaut hatte. Lauras Mutter war eine übergewichtige Frau mit feuerrot gefärbter Igelfrisur, der Vater ein groß gewachsener Mann, dem man seinen Alkoholkonsum ansah. Laura die leibliche Tochter der Eheleute wirkte mit ihren 13 Jahren wesentlich älter. Sie war bereits 1,70 m groß und brachte einige Pfunde zu viel auf die Waage. Ihr Übergewicht versuchte sie durch viel zu große Pullover zu kaschieren. Wie ihre Mutter trug sie einen Kurzhaarschnitt, den sie sich ebenfalls rot tönte. Die roten Haare verstärkten ihre ohnehin schon starke Gesichtsblässe noch weiter. Wenn ich damals meinen ersten Einruck hätte zusammenfassen sollen, dann handelte es sich hier um eine Familie, die wohl nicht nur ein Schulproblem hatte. Laura hatte zwei Geschwister – einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester, die beide noch schulpflichtig waren und ebenfalls bei den Eltern lebten.
Die Eltern wollten also einen Neustart für ihre Tochter Laura, und den sollte sie an unserer Schule auch bekommen. Trotzdem machte ich die Familie darauf aufmerksam, dass auch anunserer Schule Regeln gelten würden – sowohl für Lehrer als auch für Schüler. Laura möge ihren Neustart auch wirklich als Neustart verstehen und nicht alte Verhaltensmuster mit in die neue Schule einbringen. Die Eltern betonten, dass sie selbstverständlich ebenfalls keinen weiteren Ärger wünschten, und versicherten mir ihre Zusammenarbeit.
Nach kurzer Zeit hatte sich Laura sehr gut in die bestehende Klassengemeinschaft eingelebt. Von den Mädchen in ihrer neuen Klasse wurde Laura schnell aufgenommen. Sie freundete sich mit Vanessa an, die ebenfalls noch nicht sehr lange in meiner Klasse war. Im Unterricht fiel sie durch ihren relativ gut ausgeprägten Wortschatz auf und bereicherte die Stunden mit ihren Wortbeiträgen. Auch in Mathematik fand sie schnell Anschluss. In beiden Hauptfächern konnte sie nach einer kurzen Zeit am leistungsstarken
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