Doener, Machos und Migranten
Schulbesuch recht glücklich war, thematisierte ich die Übermüdung im Unterricht zunächst nicht.
Janices Mutter suchte mich im Allgemeinen zweimal wöchentlich auf, um mir weiterhin theatralisch für die schulische Entwicklung ihrer Tochter zu danken. Jedes Mal schimpfte sie über die ehemalige Lehrerin. Ich empfahl ihr, nach vorne zu schauen und den Neustart an unserer Schule als Chance zu begreifen. Es würde nichts bringen, sich immer an der Vergangenheit zu reiben.
Janices Mutter war eine groß gewachsene Frau, die sich ihre schönen blonden Haare ebenfalls extrem unnatürlich aufhellte. Sie trug auffällige körperbetonte Kleidungsstücke, die eigentlich nicht zu ihrem kräftigen Körperumfang passten. Als ich in der Akte ihr Alter las, erschrak ich, denn sie war sechs Jahre jünger als ich. Das hätte ich nie vermutet, denn man sah ihr deutlich an, dass sie bereits zahlreiche Höhen und Tiefen erlebt haben musste. Auch jetzt lebte sie mit einem türkischen Partner zusammen, der ihren Angaben nach ihr Ehemann war. In der Pause erzählte mir Janice immer wieder von den vielenStreitereien zwischen ihrer Mutter und ihrem neuen «Mann». Es schien sie allerdings nicht wirklich zu belasten. «Jemal», so sein Name, hätte «eh nichts zu sagen».
Im Laufe des Schuljahres unternahmen wir einige Tagesausflüge. Wir fuhren zu dem landwirtschaftlichen Betrieb, in dem unsere Kollegin lebt – ein sehr beliebter außerschulischer Lernort für unsere Stadtkinder. Doch jedes Mal, wenn ein Ausflug anstand, kam Janice nicht zum verabredeten Zeitpunkt zur Schule. Auch an den folgenden Tagen fehlte sie. Wenn ich sie nach den Gründen für ihr Fehlen fragte, kam jedes Mal die gleiche, stereotype Antwort: «Ich war krank».
Es dauerte nicht allzu lange, bis Janice in das Verhaltensmuster verfiel, das ihr bereits in Gladbeck Schwierigkeiten bereitet hatte: Sie fehlte sehr häufig. Zunächst gab die Mutter sich erschrocken und bat mich, sie sofort anzurufen, wenn Janice fehlen würde. Sie gab an, ihre Tochter morgens stets pünktlich loszuschicken. Dennoch wurden im Laufe des Schuljahres die Schulbesuchszeiten kürzer und die Fehlzeiten immer länger.
Wie in jedem Schuljahr stand unsere Klassenfahrt auf dem Plan. In einem Anschreiben wurden die Eltern befragt, ob sie mit der Teilnahme ihres Kindes einverstanden sind. Damit Kinder von Empfängern des Arbeitslosengeldes II und Empfänger von Hartz IV ebenfalls an einer Klassenfahrt teilnehmen können, werden diese Kosten vom Integrationscenter übernommen. Frau A. unterschrieb den Elternbrief und ich füllte das notwendige Formular zur Kostenübernahme für das Arbeitsamt aus. Auf dem Formular werden die Daten des Kindes, Art der Schulfahrt, Ziel, Dauer und Kosten angegeben. Wenn die Eltern das Formular beim Integrationscentereinreichen, überweist der entsprechende Mitarbeiter das Geld auf das angegebene Konto der Schule.
Frau A. hatte jedoch kurzerhand das angegebene Konto auf dem Schulformular durchgestrichen und ihr eigenes Konto angegeben. Einem Mitarbeiter des Integrationscenters fiel dies natürlich sofort auf und rief bei unserer Schule an. Ich stellte die Sachlage sofort klar und das Geld wurde auf das richtige Konto überwiesen. Als ich Frau A. bei dem nächsten Treffen darauf ansprach, erwiderte sie mir: »Ich habe geglaubt, das Geld müsse auf mein Konto. Ich hätte es Ihnen dann selbstverständlich gegeben.» Natürlich glaubte ich ihr kein Wort. Es war ein Versuch wert, so interpretierte ich die Geschichte, und hakte sie für mich ab.
Am Tag der Abreise erschien Janice nicht. Da ein ganz bestimmter Zug mit unseren Sitzplätzen reserviert war, fuhren wir wieder einmal ohne Janice los. Janice war angeblich erkrankt und konnte nicht mitfahren. Von nun an wollte ich bei Krankheitsfällen nur noch ärztliche Atteste vorgelegt bekommen.
Im Laufe des Schuljahres erzählte mir Janices Mutter von dem neuen Freund ihrer Tochter. Er hieß Stefan und besuchte die Abschlussklasse unserer Schule. Stefan und Janice waren auch auf dem Schulhof unzertrennlich. Janice berichtete mir, dass sie auch ihre freien Nachmittage miteinander verbrachten. Leider nicht nur ihre freien Nachmittage. Immer häufiger fehlten beide Schüler während der Unterrichtszeit, sodass mich Stefans Klassenlehrerin dann in den Pausen fragte: «Ist Janice heute da?» Beide schienen offensichtlich gemeinsam die Schule zu schwänzen. Zum Glück nahm es Stefans Mutter nicht ganz so gelassen wie Janices
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