Doener, Machos und Migranten
sie mitten im Schuljahr neu in meine damalige Klasse 6. Sie war ein auffallend hübsches Mädchen mit braunen Augen und blonden Haaren. Zu meinem Bedauern hellte sieihre Haare regelmäßig mit Wasserstoffperoxid blond bis platinblond künstlich auf. Diese grelle, sehr ins Auge stechende Haarfarbe passte gar nicht zu ihrem zurückhaltenden Wesen.
Zunächst traute sich Janice überhaupt nicht, sich aktiv am Unterricht zu beteiligen. Sie war äußerst schüchtern und taute erst mit der Zeit allmählich auf. Mit ihrer freundlichen Art eroberte sie vermutlich jedes Jungenherz in meiner Klasse und auch in zahlreichen anderen Klassen. Aber nicht nur bei den männlichen Schülern war Janice beliebt. Die Mädchen der Klasse freundeten sich ebenfalls sehr schnell mit ihr an und so lebte sie sich innerhalb kürzester Zeit in die neue Klassengemeinschaft ein.
In der Pause erzählte Janice gern von ihren Schwestern und Erlebnissen außerhalb der Schule. Sie lebte mit ihrer Mutter, die sie im Alter von 16 Jahren geboren hatte, und ihren zwei jüngeren Schwestern zusammen. Alle drei Mädchen stammten von unterschiedlichen türkischen Vätern. Nachdem Janices Mutter erfolgreich eine Drogenentziehungskur absolviert hatte, nahm sie ihre älteste Tochter, die während der Entziehungskur bei ihrer Oma gelebt hatte, wieder zu sich. Die Großmutter, der das Sorgerecht über Janice zugesprochen worden war, hatte es nur widerwillig wieder an ihre Tochter zurückgegeben. Laut Schülerakte hatte Janice auch noch einen kleinen Bruder, der ebenfalls aus einer Beziehung ihrer Mutter mit einem türkischen Mann stammte. Der Vater des Kindes verbüßte eine Haftstrafe. Wo der Junge lebte, ging aus der Akte nicht hervor.
Obwohl Janices Mutter nicht berufstätig war, war sie mit der Erziehung ihrer Kinder überlastet. Das zeigte sich u.a. daran, dass Janice regelmäßig zu spät im Unterricht erschien. Der Kindergarten, den ihre zwei jüngeren Schwestern besuchten,befindet sich in unmittelbarer Nähe der Schule. Nur selten schaffte es Janices Mutter, die Kinder pünktlich hinzubringen. Zu einer bestimmten Zeit wird die Tür zum Kindergarten abgeschlossen, damit die Erzieherinnen und die Kinder mit ihrem Tagesablauf ungestört beginnen können. Durch Verspätungen dieser Art wäre der gesamte Rhythmus gefährdet. So musste Janices Mutter die beiden Mädchen häufig zu Hause betreuen, da sie vor verschlossener Kindergartentür stand.
Direkt bei unserer ersten Begegnung redete Janices Mutter auf mich ein wie ein Wasserfall. Sie sei ja so glücklich über mich als Lehrerin, denn ihre Tochter hätte in der ehemaligen Schule so ein Pech mit der Klassenlehrerin gehabt. Sie hätte Janice nicht gemocht und sie sehr ungerecht behandelt. Ohne Punkt und Komma schimpfte sie über die mir unbekannte Kollegin aus Gladbeck. Zu allem Überfluss betonte sie auch immer wieder, dass die ehemalige Klassenlehrerin türkischer Herkunft gewesen wäre. Sehr deutlich trat zutage, dass sich Janices Mutter der eigenen Widersprüchlichkeit nicht bewusst war. Schließlich stammten ihre Kinder aus Beziehungen mit Männern türkischer Herkunft. Und weiter ging es mit der Lobhudelei auf mich: «Janice hat bereits in so kurzer Zeit in Ihrer Klasse große Fortschritte im Lesen gemacht. Das ist alles Ihr Verdienst.» Nun bin aber auch ich eine Lehrerin türkischer Herkunft. Weder mein Name noch mein Äußeres lassen etwas anderes vermuten. Es war nur zu offensichtlich, dass die Mutter die Ursachen der früheren Probleme ihrer Tochter nicht bei sich suchen wollte.
Laut Schülerakte war Janices Schulbesuch während ihrer gesamten Schullaufbahn unregelmäßig gewesen – so auch in ihrer ehemaligen Förderschule in Gladbeck. Die türkische Kollegin war ihrer Pflicht nachgekommen und hatte das Jugendamtinformiert. Es hatte ein Bußgeldverfahren eingeleitet, gegen das seitens der Familie kein Einspruch eingelegt worden war. Gemäß Aktenlage hatte Janices Mutter auf die Frage einer Mitarbeiterin vom Jugendamt, warum ihre Tochter nicht in der Schule erscheinen würde, geantwortet: «Ich habe es noch nicht geschafft, einen Wecker zu kaufen.»
Janice bemühte sich, dem Unterricht zu folgen, obwohl ich sehr schnell den Eindruck gewann, dass sie ziemlich übernächtigt war. Sie erzählte mir von einem Fernseher in ihrem Zimmer, den sie ohne Einschränkungen nutzen dürfe. Da ich über das entstandene Vertrauensverhältnis zwischen ihr und mir sowie über ihren regelmäßigen
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