Doener, Machos und Migranten
Familie beschert.
Als ich nun Ibrahims Vater, den wir im Kollegium nur «den Mann mit den Stahlarmen» nennen, die einzelnen Regelverstöße seines Sohnes aufzählte, sprang er plötzlich auf und gab Ibrahim eine schallende Ohrfeige. Der Junge, der im Gegensatz zu seinem Vater schmächtig und zudem auf eine solche Aktionnicht vorbereitet war, kippte vom Stuhl. Das Ganze geschah so schnell, dass ich nicht eingreifen konnte. Ich schrie auf und stellte mich zwischen Vater und Sohn, dessen Wange sofort rot anschwoll. Aufgeschreckt vom Lärm, kamen einige Kollegen aus dem benachbarten Lehrerzimmer angelaufen. Der Schulleiter nahm Ibrahims Vater mit ins Schulleiterzimmer. In einem Folgegespräch versicherte der Vater, dass sein Sohn sich zukünftig besser benehmen würde. «Ibrahim macht jetzt nix mehr Ärger.» Ich versuchte ihm dennoch klarzumachen, dass körperliche Züchtigung meiner Meinung nach nicht das geeignete Mittel für eine Verhaltensänderung sei. Als Pädagogin und Mensch verabscheue ich jede Form von Gewalt gegen Kinder. Vermutlich sah Ibrahims Vater das völlig anders, dennoch nahm ich ihm das Versprechen ab, Ibrahim nicht noch einmal zu schlagen. Um ganz sicher zu gehen, musste er «Wallah» sagen, den allbekannten Schwur der Moslems.
Am nächsten Morgen erkundigte ich mich bei Ibrahim, wie der Nachmittag zu Hause verlaufen sei. Der Vater hatte Wort gehalten und das Kind nicht noch einmal gezüchtigt. So hatte ich ihn auch eingeschätzt – ein Mann, ein Wort.
Wer jetzt annimmt, Ibrahim sei die Geschichte mit seinem Vater unangenehm gewesen, der täuscht sich. Zu meinem Erstaunen prahlte er vor seinen Klassenkameraden, wie er bei der Ohrfeige vom Stuhl geflogen sei. Darüber lachten nicht seine Mitschüler, sondern Ibrahim selbst schien sich prächtig zu amüsieren. Seine Beschreibungen erinnerten an die Szenen aus einem Actionfilm oder einem Computerspiel. Mehrfach demonstrierte er unter Einsatz seines Körpers den Flug, sehr zu Belustigung aller Anwesenden. Schon bald versuchten seine Zuhörer, diese Geschichte mit einem eigenen Erlebnis zu Hause zu toppen. Dennoch zeigte sich bald, dass dieser Vorfall nicht gänzlich ohne Wirkung auf IbrahimsVerhalten geblieben war. Wenn er wieder einmal über die Stränge zu schlagen drohte, musste ich nur sagen: «Ibrahim, es reicht. Oder soll ich deinen Vater anrufen?» Schlagartig wurde er ernst und antwortete: «Nee, nee, ist schon gut, Frau Durmaz.» Und tatsächlich riss er sich in den nächsten Stunden zusammen. Ganz so locker, wie er es vor seinen Kameraden immer darstellte, nahm Ibrahim die Sache nun doch nicht. Er hatte gehörigen Respekt vor seinem Vater.
Die libanesische Familie betreibt in Essen-Altenessen eine Autowerkstatt. Altenessen ist ein Stadtteil im Norden der Stadt und wird vorwiegend von ausländischen Mitbürgern bewohnt. Das bedeutet einerseits eine kulturelle Vielfalt, andererseits aber auch eine Anhäufung sozialer Brennpunkte. So gibt es Gegenden, in denen es alles andere als angenehm ist, allein spazieren zu gehen.
Die Werkstatt ist auf die Reparatur von Unfallwagen spezialisiert. Die wieder fahrtüchtigen Autos werden anschließend an vornehmlich türkisch oder arabisch sprechende Kunden weiterverkauft. Deutsche Interessenten gibt es wohl nicht, vielleicht scheuen sie sich auch, diese Gegend zu betreten. Ibrahims Vater spricht zwar deutsch, verfügt aber nicht über schriftsprachliche Kenntnisse. In seinem Geschäft werden die meisten Vereinbarungen mündlich geregelt. Von den Einnahmen aus Werkstatt und Autohandel muss die Familie mit ihren sechs Kindern leben. Ibrahims Mutter ist Hausfrau und mit der Versorgung der Kinder gänzlich ausgelastet. Außerdem würde es auch nicht den bei ihnen vorherrschenden Wertvorstellung entsprechen, wenn die Frau arbeiten ginge. Auch wenn die Töchter keine Kopftücher trugen, so waren sie in manchen Bereichen doch traditionell eingestellt und übten ihre Religion aus, etwa indem die ganze Familie im Ramadan fastete.
An den Wochenenden arbeitete Ibrahim oft in der Werkstatt seines Vaters. Häufig erzählte er von Autos, die sie gemeinsam repariert hatten, und nannte mir Buchstaben und Zahlen, die für gewisse Autotypen stehen, die mir allerdings nichts sagten. Besonders stolz war er auf sein dazuverdientes Geld. Sein technisches und handwerkliches Talent ließ sich nicht verleugnen.
Die beiden älteren Schwestern Ibrahims waren bereits verheiratet, die jüngeren Geschwister besuchen alle
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