Doener, Machos und Migranten
war das eine sehr schöne Erfahrung, denn es gab so viele Eltern, bei denen ich meine ganze Überredungskunst aufwenden musste, damit sie ihren Kindern ein wenig mehr Freiraum gewährten. Hivdas Vater verhielt sich in dieser Hinsicht sehr kooperativ. Seine Antwort auf derlei Ansinnen war immer gleich: «Mein Kind ist auch Ihr Kind».
Hivdas Vater war der kurdischen Tradition durchaus verhaftet, was schon sein Äußeres zeigte: Er trug die traditionelle kurdische Kleidung, die aus einer im Schritt weit geschnittenen Pumphose und einem weiten hellen Hemd besteht. Auch sein spitzer, nach oben geschwungener Schnurrbart ließ seine kurdische Abstammung erkennen. Er war stets akkurat geschnitten und stach schon von weitem wegen seiner Länge ins Auge. Der Schnurrbart ist in orientalischen Gesellschaften ein Symbol der Männlichkeit und des männlichen Stolzes. Beides trat durch die Art und Weise, wie Hivdas Vater seinen Bartschmuck trug, und durch seine Gesamtausstrahlung offen zutage. Zweifelsfrei handelte es sich hier um einen sehr stolzen orientalischen Mann. Zumindest was seine Tochter Hivda betraf, hatte er auch allen Grund, stolz zu sein.
Hivdas Mutter bekam ich in der gesamten Zeit nur einmalzu Gesicht. Sie hatte ein buntes, an den Ecken mit Spitzen verziertes Baumwolltuch mehrfach um den Kopf gebunden. Ihr Rock reichte fast bis zum Boden. Darüber trug sie eine ebenfalls bunte lange Bluse. Ihr Teint war sehr dunkel. Man konnte den Eheleuten ansehen, dass sie einer anderen Kultur entstammten. Dennoch war die Familie dem westlichen Erziehungsstil gegenüber aufgeschlossen.
Hivda legte bald ihre anfängliche Zurückhaltung ab, und ihr Lernzuwachs innerhalb eines Schuljahres war enorm. Ihre Lernblockade, die sie in der Grundschule hatte scheitern lassen, wich von Tag zu Tag. Sie sprach immer besser deutsch und in Mathematik gehörte sie sehr schnell zu den besten Rechnern der Klasse. Ihr Aufgabenverständnis und das schlussfolgernde Denken waren gut, wobei sie immer mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gewann. Ich konnte mir die Lernschwierigkeiten, die sie in der Grundschule gehabt hatte, nur durch eine temporäre psychische Blockade erklären. Vielleicht lag die Ursache auch in den frühkindlichen traumatischen Erlebnissen, die sie in ihrem Heimatort hatte durchleiden müssen.
Als sie in der 5. Klasse war, fragte mich Hivda eines Tages, ob sie noch lange hier auf der Förderschule bleiben müsse. Das negative Bild, das viele Menschen von einer Förderschule haben, war auch ihr nicht verborgen geblieben. So erzählte sie mir, dass die Klassenkameraden ihrer Geschwister negativ reagierten, sobald sie erfuhren, welche Schule Hivda besuchte. So gerne Hivda auch in unsere Schule kam, außerhalb dieser Lernstätte erlebte sie ablehnende Reaktionen.
Auch wollte Hivda von mir wissen: «Wie kann ich Lehrerin werden?» Als ich ihr den nötigen Bildungsabschluss erklärte, wurde sie sehr traurig. Ich versprach ihr, sie bei weiterkonstant guten Noten probeweise zur Hauptschule zu schicken. Das war für sie ein Anreiz, sich weiter zu steigern. Hivda war nicht nur fleißig, sondern auch sehr ehrgeizig. Nach eineinhalb Jahren sprach ich mit meinem Schulleiter und dem Schulleiter unserer Nachbarhauptschule. Beide waren mit einer vierwöchigen Probezeit einverstanden.
Hivda blühte noch mehr auf und freute sich sehr auf die kommende Zeit. Während der Probezeit telefonierte ich wöchentlich mit ihrer neuen Klassenlehrerin und erkundigte mich nach Hivdas Leistungen. Die Lehrer waren mit ihr sehr zufrieden, und so stand einem Schulwechsel nichts mehr im Wege.
Beim Schulamt stellte ich einen Antrag auf Beendigung der sonderpädagogischen Förderung. Eine Begründung meines Antrages mit einer Aufstellung von Hivdas schulischen Leistungen mussten nicht nur ich, sondern auch die Kollegen der Hauptschule einreichen. Ohne diesen bürokratischen Aufwand ist ein solcher Schulwechsel leider immer noch nicht möglich. Das Schulamt entschied schließlich im Sinne des Kindes und legte ihrer weiteren Laufbahn keine Steine in den Weg. Im Klassenverband feierten wir Hivdas Abschied, der allen Beteiligten schwerfiel.
Manchmal besucht Hivda uns noch. Mitunter fragt sie nach Rat bei einigen Hausaufgaben oder zeigt mir die guten Noten ihrer Klassenarbeiten. Ich gebe gerne zu, dass mich in solchen Momenten ein gewisser Stolz überkommt.
Nachdem sie ein Jahr die Hauptschule besucht hatte, hörte ich, dass sie auf eine Gesamtschule
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