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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
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nicht in Panik versetzen, Major, aber aus Sicherheitsgründen müssen sich alle, die gebissen wurden, in der Notaufnahme sofort gegen Tollwut impfen lassen.«
    Der Major sah ihn bestürzt an und nickte dann. »Das betrifft uns fast alle«, murmelte er mit schiefem Lächeln.
    Sie beobachteten, wie der Bus davonfuhr.
    »Warum hast du nicht versucht, mit ihm zu reden?«, fragte Natalja.
    Dimitri antwortete nicht sofort. Ja, warum eigentlich? Hätte Romotschka ihm zugehört? Vielleicht hätte er den Jungen beruhigen können. Wieso hatte er es nicht getan? Hatte er sich vor dem Anblick gefürchtet, den er zu sehen bekommen hätte? Der Lärm war nicht menschlich, sondern animalisch gewesen. Das war ein Grund; und was noch? Plötzlich wusste er es: Er wollte nicht mit der Gefangennahme in Verbindung gebracht werden. In jenem Moment wäre für den Jungen, den er in Pflege nehmen wollte, nichts, was er hätte tun können, richtig gewesen, deshalb hatte er sich entschieden, gar nichts zu tun.
    »Warum hast du’s nicht versucht?«, fragte er kühl.
    »Ich will nicht, dass er mich hasst.«
    Deshalb hatte sie sich so bereitwillig zurückgehalten und kein Wort gesagt, hatte darauf gewartet, dass der verfluchte Dimitri etwas tat. Dimitri spürte, wie eine Woge des Zorns über ihn hinwegspülte und dann so schnell verschwand, wie sie gekommen war.
    Beide schwiegen. Sie hatten denselben Gedanken: Romotschka hatte Dimitri bestimmt gehört; und vielleicht hatte er sie beide gerochen. Sie hatten den schrecklichen Fehler begangen, ihn wie ein Tier schreiend im Bus zu lassen, um zu warten, bis er die Reise von der Wildnis zum Krankenhaus, vom Tier zum Menschen, beendet hatte, bevor sie ihn anfassten oder ihm halfen.
    Natalja seufzte. »Tja.«
    Als er sah, wie traurig sie war, tat sie ihm plötzlich leid;er bedauerte sie beide und all die Fehler, die sie zusammen begehen würden. Doch dann durchfuhr ihn eine seltsame Freude, die gar nicht zu dieser ganzen Situation passte: Hier standen sie, unerfahren und dumm, gemeinsam, als Eltern. Ihre Liebesgeschichte, so gewöhnlich und unbedeutend, würde auch alle gewöhnlichen Fehler umfassen.
    Er legte den Arm um ihre Schultern und streichelte sie unbeholfen.
    »Du wirst die beste Pflegemutter der Welt sein«, sagte er.
     
    ~
     
    Dimitri studierte seine Karte, während Natalja stirnrunzelnd die Skyline betrachtete. Die Stadt war ihm kein bisschen vertraut. Sogar die Namen waren ihm fremd und die Topographie wirklich verwirrend. Er drehte die Karte um hundertachtzig Grad. Da war es. Ja, sie waren jetzt in den Gassen von Sagorodje, dem Revier des Rudels, und, der milizia zufolge, höchstwahrscheinlich genau in dem Gebiet, in dem sich die Höhle befand. Das Restaurant war sehr weit vom Zuhause der Hunde entfernt gewesen. Auch wenn ihm dieses Territorium für die Nahrungssuche unglaublich groß vorkam, bestand kein Zweifel: Dimitri hatte die Pfade anhand der kurzen fünf Stunden, in denen einer der Restauranthunde das Implantat getragen hatte, auf der Karte orange markiert. Ursprünglich hatte er vorgehabt, alles abzugehen, doch in diesem vergessenen Stück Moskau fühlte er sich unwohl, und seine Entschlossenheit verließ ihn. Es kam ihm vor, als hätten sie ein fremdes, ihnen völlig unbekanntes Land betreten. Sie zogen die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich – wurden voll Feindseligkeit beobachtet und gemieden, als hätten sie eine ansteckende Krankheit.
    Zu seiner Bestürzung stellte Dimitri fest, dass sie außerdem von einer Kinder- und Jugendbande schweigend verfolgt wurden. Ihm brach der kalte Schweiß aus. Er kannte all die Theorien über Banden und warum dieses Leben für Kinder und Jugendliche so anziehend war (der doppelte Reiz von Macht und Gruppenzugehörigkeit), er wusste von der wundersamen Tatsache, dass sie, wenn sie am Leben blieben, irgendwann keine Banden mehr brauchten. Und doch hatten sich ihm jedes Mal vor Angst die Eingeweide zusammengezogen, wenn er von solchen Kindern verfolgt worden war. Sie hatten geheime Signale, führten geheime, für Außenstehende unbegreifliche Kriege. Diese hier hatten alle 88 oder 18 auf ihren Hemden und Bomberjacken stehen. Die einzige Gewissheit bestand darin, dass sie erbarmungslos waren.
    Er blickte Natalja an. Abgesehen von der Tatsache, dass sie ihre Schritte beschleunigt hatte, wirkte sie unbekümmert, lächerlich unerschrocken. Natalja, das wusste er inzwischen, hatte nie einen ernsten Gedanken daran verschwendet, dass sie vergewaltigt

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