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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
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werden oder einen gewaltsamen Tod erleiden könnte. Ihre Haltung bei jeglichen Auseinandersetzungen lautete: Steh auf und rede dich heraus – ein gefährlicher, naiver Glaube daran, dass ihre kleine Welt aus richtig und falsch sich durchsetzen und, kraft ihrer Wortgewandtheit und ihrer Persönlichkeit, allen Menschen aufgedrängt werden konnte. Oft genug hatte sie damit recht.
    Doch Dimitri wusste, dass sie hier und jetzt nicht recht haben konnte, und es ärgerte ihn, dass er sich doppelt ängstigen musste – um sie und um sich. Er konnte nicht darauf vertrauen, dass sie seinem Beispiel folgte. Vielleicht würde sie so etwas Verrücktes tun, wie mit ihnen zu reden. Docher würde mit all seiner Kraft für sie kämpfen. Er war bereit – aber was, wenn er versagte? Sein Herz raste, als er unmerklich versuchte, die Zahl der Jugendlichen zu schätzen. Ungefähr fünfzehn, mindestens die Hälfte von ihnen schon fast erwachsen. Er spürte, wie seine schweißnassen Füße in seinen Schuhen hin und her rutschten.
    Nach einer Weile bogen die Kinder ab, und Natalja verlangsamte ihre Schritte, bis auch er langsamer wurde. Seine Angst verflog. Sie musste eine leise Ahnung der Gefahr gehabt haben, sonst hätte sie nicht ihre Schritte beschleunigt. Als er zurückblickte, um sicherzugehen, dass die 88er wirklich verschwunden waren, hätte er Natalja am liebsten umarmt.
    Sie horchten angestrengt auf irgendeinen Laut, der auf Hunde hindeutete. Ein Rudel von acht Hunden, und eine der Hündinnen mit prallen Zitzen. Es musste Welpen geben. Doch es war schon Herbst, und vielleicht kamen sie zu spät.
    Wo würde man sich als Hund verstecken?
    Zu ihrer Linken bedeckte hellgoldenes Gras eine Wiese, die mit allem möglichen Müll gesprenkelt war. In einiger Entfernung endete das Gras an den enggeschlossenen Reihen riesiger Wohnblocks, einst cremefarben und blau gekachelt, doch inzwischen schmutzverschmiert und von Kälterissen durchzogen. Das waren die typischen Merkmale ihrer Zeit. Vermutlich tausend Menschen in jedem Gebäude, dachte Dimitri. Ihm fiel ein, dass er schon von Sagorodje gehört hatte. Auch unter dem Namen Swalka bekannt, Müllhalde. Er hatte es mal mit ein paar Jugendlichen zu tun gehabt, minderjährigen Mördern, die vermutlich irgendwo in diesen Wohnungen gelebt hatten.
    Kleine bunte Wäschequadrate flatterten an unzähligen,weit entfernten Balkonen. Im Grunde waren diese Gebäude nicht anders als Hunderte anderer Wohnblocks, die sich an Moskaus äußerer Ringroute drängten, und doch fand Dimitri das ganze Tableau, auch diese Fähnchen aus Spitze und farbenfrohem Tuch, grässlich; befleckt von dem Umstand, dass hier ein Junge, nein, zwei Jungen bei einem Rudel Hunde gelebt hatten, ohne aufzufallen. Am Rande der Wohnblocks standen einige verfallene Rohbauten auf unkrautüberwuchertem Ödland. Sie sahen ganz schwarz aus, stellenweise sogar verbrannt, und Dimitri vermutete, dass Banden oder bomschi darin Feuer entzündet hatten. Hoch oben an den nackten Fassaden waren hier und da Löcher zu sehen, mit Brandflecken ringsherum, die aussahen wie falsche Wimpern.
    Mit dem üblen Gestank chemischer Abfälle in der Nase überquerten sie eine freie Fläche, die so groß war wie ein Gemeinschaftsgarten. Der Gestank wurde immer stärker, bis er geradezu ein greifbares Hindernis war, das sie zurückstieß. Dimitri hatte das Gefühl, als ob er ihre Lungen zukleisterte und verseuchte. Er zog ein paar Papiertaschentücher hervor, hielt sich eins vor Mund und Nase und reichte das andere Natalja.
    Dann erkannte er, dass der große, oben abgeflachte Hügel zu ihrer Rechten aus Müll bestand. Ein Berg aus Müll. Er hatte nicht gewusst, dass der Name Swalka nicht bildlich, sondern wortwörtlich gemeint war. Der riesige, ausladende Berg ragte hoch über den Wald und das umliegende Land und stank wirklich fürchterlich. Sie gingen darauf zu; die Stadt blieb hinter ihnen zurück, und Dimitri hatte das Gefühl, als hätte er eine andere Welt betreten. Das war nicht der Lossiny Ostrow Nationalpark, so viel war klar. Das war vergessenes Land. Ödland, Sumpf und Wald, von Gestankverpestet. Hier und da standen vereinzelte, vernachlässigt wirkende Datschen. Mit Sicherheit aus der Zeit vor dem Berg.
    Sie kamen an dem Schild einer Baufirma vorbei, auf dem der Müllberg als Skihang abgebildet war. Natalja schnäuzte sich in ihr Papiertaschentuch, aber Dimitri betrachtete den Berg nun mit ganz neuen Augen. Eigentlich war das ganze Gebiet äußerst

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