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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
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wertvoll. Freies Bauland. In Moskau. Unglaublich. Falls er je überlegen sollte, ein kleines Stück Land zu kaufen, wäre das der richtige Ort. Vielleicht war es sogar schon zu spät; vielleicht war alles schon zu horrenden Preisen verkauft worden. In der Luft sirrten hörbar die Stromleitungen, die zwischen den riesigen Stahlmasten fast bis auf Baumhöhe durchhingen. Inzwischen sah er, dass sich auf dem Berg etwas bewegte. Allerdings hatte es keinerlei Ähnlichkeit mit den grell gekleideten Skifahrern auf der Reklametafel. In einiger Entfernung schlichen winzige gebeugte Gestalten über den Müll.
    »Da«, sagte Natalja, zeigte wieder mit dem Finger und hielt sich die Nase zu. »Irgendwo in diesen Gebäuden … Oh! Das ist ja ein Friedhof.«
    Sie gingen langsam, mit leisen Schritten, in diese Richtung und lauschten. Natalja verzog das Gesicht, während sie sich umschaute, und sagte dann fast im Flüsterton: »Weißt du noch, was Dostojewski über Tiere gesagt hat? Gott hat ihnen eine ungetrübte Freude geschenkt. Sie sind ohne Sünde, du aber in deinem Größenwahn hast mit deinem Erscheinen die Erde mit Fäulnis angesteckt und hinterlässest allerorten deine eitrige Spur … oder so ähnlich!«
    Dimitri lachte. Mit einem Fußtritt beförderte er eine Plastikflasche in die Gegend, in der einmal ein Sessellift entstehen sollte. »Aber was wird nun aus unserem Hundejungen,Natalotschka? Ein Tier ohne Sünde oder ein Mensch, der die Erde mit Fäulnis ansteckt?«
    Natalja dachte an Romotschka, eingesperrt im Gästezimmer ihrer Wohnung: verlassen, wild, wütend, verraten. Rasiert. Inzwischen war er bestimmt wach, aber noch wackelig auf den Beinen. Sie war dankbar für das Beruhigungsmittel; und verließ sich darauf, dass Konstantin den Jungen davon abhielt, sich etwas anzutun.
    Inzwischen war sie ganz sicher, dass sie das Vertrauen des Jungen nur zurückgewinnen würden, wenn sie ihn überzeugen konnten zu bleiben und ihm auf lange Sicht ein richtiges Leben boten. Er besaß einen außergewöhnlich starken, gesunden Körper. Würmer, klar. Und den schlimmsten Ohrenschorf, den sie je gesehen hatte. Doch es war ihnen gelungen, ihn zu säubern, zu impfen und ihm einen Mikrochip einzusetzen; so gut wie alles zu behandeln, während er ohne Bewusstsein war. Die Laborergebnisse lagen auch vor. Kein HIV ; und eine große Überraschung: Romotschka war gar nicht mit Marko verwandt. Sie hatte Dimitri eine Zusammenfassung der Daten gegeben; aber sie hatte ihm nicht alles berichtet: jedenfalls nicht das, was sie beim Anblick von Romotschkas nacktem, gesäubertem Körper gesehen hatte.
    Auf der Habenseite besaß Romotschka, gesäubert, rasiert und schlafend, ein außergewöhnliches Gesicht und, im Gegensatz zu vielen schwer vernachlässigten Kindern, ein kindliches Aussehen. Trotz seiner Narben war er ziemlich hübsch. Mit leicht tatarischem Einschlag. Aber – sie bekam es nicht aus dem Kopf. Wer hatte dem Jungen bloß das Wort собака in die Brust geritzt?
    Sie hatte das deutliche Gefühl, dass diese ganze Geschichte stärker von menschlicher Grausamkeit geprägtwar, als sie je erfahren würden. Die Geschichte von Mamotschka, die ihre Söhne liebte, hatte er ihnen bloß aufgetischt, weil sie genau das hören wollten. Auch von die-sen Zweifeln erzählte sie Dimitri nichts. Sie schämte sich wegen ihrer früheren Selbstgewissheit – ein fremdes, unangenehmes Gefühl. Na ja, schließlich hatte Romotschka schamlos gelogen und seine Rolle sehr überzeugend gespielt. Außerdem wollte sie nicht, dass Dimitri kalte Füße bekam, weil ein Kind anders war, als es den Anschein gehabt hatte. Nicht jetzt, wo sie deutlich sah, wie sehr er dieses Kind in seinem Leben brauchte.
    Das Wort würde ein Leben lang auf Romotschkas Brust stehen. Jetzt, wo sie es gesehen hatte, war sie noch fester davon überzeugt, dass es ihn nicht charakterisieren würde und dass sie für seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft sorgen würde. Das Wort »Hund« nahm sie nur noch mehr für den Jungen ein.
    Dimitri verlor allmählich die Hoffnung. Ja, gab er zu, wenn man alles gegeneinander abwäge, könnte es Welpen geben, doch auch in dem Gebiet, das die Karte der milizia zeigte, würde es nahezu unmöglich sein, sie zu finden. Während sie umherstreiften, horchten sie auf den geringsten Laut inmitten all der Geräusche und stellten zu ihrer Überraschung fest, dass dieses stille, tote Land äußerst belebt und reich an Geräuschen war. Außer dem Sirren war

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