Dog Boy
getan, wo war er gewesen? Unermesslicher Schmerz stieg in ihm auf, und er schrie vor Wut und Trauer, presste die schrecklichen Tränen aus den Augen und schüttelte den Kopf, um wieder klar sehen zu können.
Dimitri war entsetzt. Romotschka war nicht wiederzuerkennen, knurrte und schüttelte sich wie ein Hund. Das blasse Gesicht war verzerrt, seine vorstehenden Zähne verliehen ihm eine tierische Fratze, sein vorgebeugter Körper hatte nichts Menschliches mehr. Der narbige Affenkörper, die tränennassen Wangen, die gefletschten Zähne und die wild funkelnden Augen, seine Haltung, all das trug zu seinem höchst befremdlichen Aussehen bei. Sein Oberkörper, von furchtbaren Narben bedeckt, war schrecklich anzusehen. Er sah aus wie ein Wolf und zugleich völlig unnatürlich: wahrhaft entartet, schlimmer als ein Wolf. Dimitri sah die Bestürzung und den Ekel in Konstantins Gesicht. Er wartete, bis Romotschka aufhörte zu schreien und ihn mit glanzlosen schwarzen Augen anblickte. Dann gab er Konstantin das Zeichen, den Jungen loszulassen.
»Romotschka, Romotschka«, sagte Dimitri, während Konstantin widerwillig die Plastikhandschellen an den Handgelenken des Jungen zerschnitt. Der Junge knurrte die ganze Zeit. »Du kennst mich doch. Ich bin hier, um dir zu helfen. Denk an Mar … Schtschenok.«
Romotschka wollte sich auf ihn stürzen, doch bevor Dimitri Natalja bremsen konnte, war sie in voller Größe dazwischengetreten, brüllte den Jungen mit atemberaubendem, wildem Knurren an und zog gleichzeitig einen plötzlich winselnden Welpen aus dem Mantel. Auf Dimitri wirkte sie wie eine Göttin oder Hexe auf einem Gemälde, mit einem hilflosen Tier in der Hand und über einen kauernden Wilden gebeugt.
» SIE SIND NICHT ALLE TOT !«, brüllte sie in Romotschkas bestürztes Kindergesicht. »Wir haben drei für dich gefunden.«
Romotschka sank gegen die Wand, sein Gesicht plötzlich ausdruckslos und wirklich acht Jahre alt. Er hielt sich mit den kotverschmierten Händen die Ohren zu und umfasste sein eigenes Gesicht. Keiner rührte sich oder sprach. In dieser stillen Szene rannen dem Jungen zwei Tränen die Wangen hinab. Er griff nach dem Welpen und schwenkte mit seltsam fordernder Geste die Hand, was noch sonderbarer wirkte, weil er zugleich den Blick senkte und das Gesicht abwandte. Die Hand wedelte und fuchtelte herrisch, als sei sie vom restlichen Körper unabhängig. Dimitri zog die beiden anderen Welpen hervor, und auch ihm standen Tränen in den Augen. Der Junge griff gierig nach den jaulenden Hunden und vergrub die Nase zwischen ihnen, holte tief Luft, leckte ihre Gesichter, Zungen, offenen Mäuler, winselte in ihr schmutziges Fell und ließ die Finger immer wieder über ihre abgezehrten Körper gleiten.
Schluchzend und mit gesenktem Kopf saß Romotschka auf dem Fußboden, die sich windenden, kläffenden Welpen an Bauch und Brust gedrückt.
Dimitri hockte sich neben den Jungen, strich über das schwarze Stoppelhaar auf seinem Kopf, ohne den roten Striemen zu berühren, und Romotschka ließ es sich gefallen.
»Sie gehören dir, dir ganz allein, und wenn du hierbleibst, sind sie außer Gefahr«, sagte Dimitri leise. Plötzlichhatte er eine Eingebung. Er hätte nicht erklären können, wie es kam, doch in jenem Augenblick wusste er genau, was zu sagen war und was es bedeutete.
»Wir sind das einzige Brot im Schrank.«
Romotschka hielt den Atem an. Er sah Dimitri mit großen, ruhigen Kinderaugen von der Seite an. Seine narbige, feuchte Wange lag auf den Welpen in seinem Arm. Sein feingeschnittenes Gesicht war blass und freundlich. Er lächelte, sein Blick glitt fort, richtete sich ins Leere. Sein Gesicht war wie verwandelt, geheimnisvoll, es glühte unter der Blässe. Für einen Augenblick fühlte Dimitri sich an Marko erinnert.
Er gab Konstantin, der grinsend, weinend, kopfschüttelnd an der Wand lehnte, ein Zeichen, und sie ließen Romotschka bei offener Tür allein, erst Konstantin, der mit ausgestreckten Händen ins Bad ging, dann Dimitri. Natalja blickte Dimitri an und lief dann in die Küche, um ein paar Milchflaschen fertigzumachen.
Dimitri war sich sicher, dass Romotschka bleiben würde, auch wenn das vielleicht der sanfteste Augenblick war, den er je bei dem Jungen erleben würde. Der Erfolg des Ganzen machte ihn überglücklich, und er empfand eine elektrisierende Freude über Nataljas Blick: überrascht, voll Bewunderung. Beeindruckt. Es war das Richtige, und es war gute Arbeit – nicht bloß, weil er
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