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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
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über Nase und Lippen bis zum Kinn reichte. Die Wunde war verheilt, ohne genäht worden zu sein, und verlieh der Frau einen unnatürlich düsteren Ausdruck, da sie ihr Gesicht in zwei ungleiche Hälften teilte. Er sah, dass auch ihre kleine verunstaltete Nase durchtrennt und halb abgeschnitten war. Hinter den beiden Lappen ihrer Unterlippe sammelte sich der Speichel, den sie immer wieder zischend einsog, damit er ihr nicht übers Kinn rann.
    Sie packte den Säugling an den Lumpen im Genick und streckte Natalja das ganze Bündel entgegen. Das Baby war erst ein paar Wochen alt, sein unterernährtes Gesicht glich dem eines Schimpansenbabys: klein, verschrumpelt, mit vorquellenden, ausdruckslosen blauen Augen und blauen Lippen. Sein Mund war trocken und verkrustet. Es stank nach Benzin.
    Die Frau blickte Dimitri an und streckte mit einer eindeutigen Bettelgeste die andere Hand aus. Zwinkernd hielt sie Natalja das sterbende Baby vor die Nase und wehrte jede Handbewegung der beiden ab. Dimitri wollte ihr gerade etwas für das bemitleidenswerte Kind und wegen ihresschrecklich entstellten Gesichts geben, als sie plötzlich das unangenehme Schweigen zwischen ihnen brach.
    »Sie sind spät dran, Doktor«, zischte sie leise mit verblüffender Stimme. »Aber abgemacht ist abgemacht, stimmt’s? 5000 Rubel? Das hat das Dach gesagt. Und es ist clean, kein Drogenbaby diesmal.« Diese Stimme. Melodiös, nuanciert. Tief und wohlklingend. Er bekam eine Gänsehaut; die Stimme machte ihm Angst. Die Frau streckte den Arm nach oben, damit der Mantel hinunterrutschte. Dann packte sie mit den Zähnen den Ärmel und zeigte Dimitri ihren entblößten Arm. Er war dünn und glatt, ohne Einstichnarben. Dimitri betrachtete ihn benommen, als könnte der Arm ihm helfen, und streckte dann kopfschüttelnd die Hände in die Luft.
    »Das … äh … d-das ist ein Irrtum«, stotterte er. Sie schüttelte das eingemummte Baby heftig, um Natalja aufzuhalten, die sich an ihr vorbeidrängen wollte.
    Natalja lief schaudernd weiter. Dimitri folgte ihr. Im Vorbeigehen griff er nach der Hand der jungen Frau, um ein paar Geldscheine hineinzudrücken, doch Natalja drehte sich um und starrte ihn so grimmig an, dass er die Hand zurückzog und sich allein wegen des Versuchs lächerlich vorkam. Als sie auf dem rissigen Asphalt davonstolperten, blickte er sich noch einmal um. Die junge Mutter lächelte wieder. Doch jetzt erkannte er, dass ihr Gesicht immer so aussah. Es war gar kein Lächeln. Ihr Gesicht konnte nicht ausdrücken, was sie wollte. Sie starrte ihm nach, schüttelte missmutig den Kopf, das entsetzliche Lächeln unerschütterlich, und wandte sich ab.
    Schweigend liefen sie weiter. Dimitri konzentrierte sich ganz auf die Karte, obwohl er bereits wusste, welchen der schmalen orangefarbenen Pfade sie gerade abschritten. Erbebte innerlich, als wäre er ein Musikinstrument, bei dem jemand mit liebloser Hand alle Saiten auf einmal angeschlagen hatte. Diese Stimme ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Dieses entsetzliche Gesicht, dieses Lächeln. Natalja stapfte in wütendem Schweigen weiter.
    Sie hatten schon fast aufgegeben, als ihr frisch geschärftes Gehör plötzlich ein leises Winseln vernahm. Schrill, verzweifelt. Natalja lächelte erleichtert und triumphierend. Sie standen vor einer Kirchenruine. Die Kuppel war verbrannt und eingestürzt, nur das hölzerne Rahmenwerk, das aussah wie eine magere, halb geschlossene Hand, war noch übriggeblieben und die seltsame Schönheit der gemauerten Zierfenster, die sich vor dem Himmel abzeichneten. Auf den Mauern, ja sogar rings um die Kuppel wuchs langes Gras. Die Kirche hatte wohl nie besonders ansprechend gewirkt. Auch als Neubau dürfte sie schlicht, um nicht zu sagen unansehnlich gewesen sein. Vielleicht eine kleine Dorfkirche, lange bevor die Stadt herangerückt war; dann aufgegeben, als das Gemeindeleben aus den Andachtsstätten verschwand. Auf dem Land rings um Moskau fand man viele solcher Ruinen: Natalja hatte schon einige gesehen, doch dies war die einzige, die sich innerhalb der Stadt befand. Zumeist waren solche nutzlosen Gebäude längst irgendwelchen Wohnsiedlungen gewichen oder restauriert und wieder nutzbar gemacht worden.
    Natalja schob sich vorsichtig durch das bröckelnde Tor und betrat den winzigen Hof, und Dimitri folgte ihr. Die fünf abgestorbenen Apfelbäume, die dort standen, waren mit bunten Plastiktüten verziert, eindeutig von Menschenhand. Die unsinnigen Fahnen flatterten knatternd über

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