Dogma
Taschenlampe hielt sie wie einen Miniatur-Rammbock fest in beiden Fäusten und hoffte, ihn damit möglichst stark zu verletzen. Sie hörte ihn aufstöhnen und vermutete, dass sie ihn an einer besonders empfindlichen Stelle getroffen hatte. Durch die Wucht des Überraschungsangriffs verlor er das Gleichgewicht und stürzte rücklings; Tess selbst konnte sich gerade noch abfangen. Er schlug in blinder Wut nach ihr und traf sie mit einer Hand im Gesicht, aber sie hatte den Vorteil, über ihm zu sein, und wich schnell zurück.
Sie machte sich von ihm los und stürzte aus dem Raum, ehe er wieder auf den Beinen war. Jetzt musste sie so schnell wie möglich vorankommen, durfte aber zugleich nicht riskieren, mit irgendeinem Hindernis zusammenzustoßen. Sie musste die Taschenlampe benutzen. Für kurze Augenblicke schaltete sie die Lampe ein, um sich bei ihrer rasenden Flucht durch das unterirdische Labyrinth zu orientieren. Dabei achtete sie auf das Stromkabel und folgte ihm gehetzt von einer Kammer in die nächste, rannte geduckt durch die engen Gänge, atemlos vor Panik. Sie war selbst zu laut, um zu hören, ob er hinter ihr aufholte, doch daran dachte sie im Augenblick nicht. Sie hatte nur eines im Sinn: schnell wegzukommen und einen möglichst großen Vorsprung vor ihm zu gewinnen.
Sie ließ gerade einen Gang mit einer Treppe hinter sich, als zwei Arme sie packten und an sich zogen. Tess wollte aufschreien, aber eine Hand legte sich fest auf ihren Mund und erstickte den Schrei.
«Psst, still», flüsterte er leise und eindringlich. «Ich bin’s.»
Ihr Herz jubelte.
Reilly.
Reilly zog sie fest an sich, fort von dem Durchgang, durch den sie eben gestürmt war.
Dann lauschte er in die Richtung, aus der sie gekommen war. Er hörte nichts, doch ihm war klar, dass es nicht lange dauern würde, bis der Iraner sie einholte.
«Wie hast du mich gefunden?», fragte Tess flüsternd.
«Das Display von meinem BlackBerry und die Stromkabel», erwiderte er knapp. «Ich bin ihnen gefolgt, und dann habe ich das Licht flackern gesehen. Hast du eine Taschenlampe?»
«Ja», hauchte Tess. «Er ist mir dicht auf den Fersen. Und er ist stinkwütend.»
Reilly dachte einen Moment lang fieberhaft nach. «Okay. Lauf weiter. Ich bleibe hier. Er kann nicht weit hinter dir sein. Locke ihn weiter, lass dich von ihm verfolgen. Wenn er hier vorbeikommt, mache ich ihn fertig.»
«Bist du si–»
«Tu’s einfach, geh», drängte er und schob sie von sich.
Tess drehte sich noch einmal kurz um, tastete mit der Hand nach seinem Gesicht und drückte ihm einen raschen Kuss auf die Lippen, ehe sie weiterlief.
Reilly steckte seine Pistole hinten in den Hosenbund und lehnte sich mit dem Rücken an die Felswand neben dem Durchgang. Er fühlte den Schweiß kühl im Rücken, wo er das Vulkangestein berührte. Es hatte keinen Sinn, im Dunkeln Munition zu verschwenden, und außerdem wollte er den Iraner lebend. Er sagte sich, dass er mit zwei freien Händen mehr ausrichten, den Gegner gezielter verletzen könnte. Und das war gerade jetzt eine höchst verlockende Aussicht.
Er sah das Licht von Tess’ Taschenlampe immer schwächer aufflackern, je weiter sie sich in die Tiefen der Zitadelle entfernte.
Dann hörte er ihn.
Hastige Bewegungen, die rasch näher kamen.
Reilly spannte die Muskeln an.
Das Scharren wurde lauter, das Atmen deutlicher. Der Iraner stürmte vorwärts wie ein rasender Stier. Reilly konnte seine Wut beinahe riechen.
Er wartete, bereit, jederzeit zuzuschlagen. Mit geballten Fäusten lauschte er in die undurchdringliche Dunkelheit und verwandelte alles, was er hörte, in Bilder. In dem Moment, als er den Iraner aus dem Tunnel kommen hörte, stürzte er sich auf ihn.
Mit voller Wucht prallte er gegen seinen Widersacher und stieß ihn rücklings gegen die Wand. Er wusste, dass der Mann bewaffnet war, und griff hastig dorthin, wo er die Schusshand vermutete. Schnell bekam er das rechte Handgelenk zu fassen, im selben Moment, als der Iraner einen Schuss abfeuerte, der von den Felswänden widerhallte und die Kammer mit einem kaltweißen Lichtblitz erhellte. Reilly hielt mit seiner Linken das Gelenk der Schusshand fest umklammert und schlug es wieder und wieder gegen die Felswand, während er mit der Rechten dem Iraner brutale Faustschläge gegen den Kopf versetzte. Er traf einmal, zweimal, hörte Knorpel brechen und fühlte das Blut, während er darauf wartete, dass dem Mann die Pistole aus der Hand fiel. Aber der Iraner hielt die
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