Dogma
nicht viel und war andererseits sogar von Nachteil, denn sie würde Tess seine Position verraten. Er beschloss, vorerst keinen Gebrauch davon zu machen. Auf diese Weise schonte er auch den Akku, den er später noch brauchen würde, um nötigenfalls Steyl und weitere Verstärkung zu kontaktieren.
Als er spürte, dass sich der Raum um ihn weitete, blieb er stehen und lauschte. Er konnte nichts sehen, doch er spürte ihre Nähe. Regungslos, mit angehaltenem Atem, konzentrierte er sich darauf, ihre Position auszumachen.
Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, und er fasste die Pistole fester und ging in Stellung.
Dann feuerte er einen einzigen Schuss ab.
Der Knall echote durch die Höhle; die Kugel pfiff dicht an Tess vorbei und schlug irgendwo vor ihr in die Wand ein. Tess konnte einen erschrockenen Aufschrei nicht unterdrücken – und im selben Moment hörte sie schon schnelle Schritte auf sich zukommen.
Den Rucksack fest umklammert, lief sie von der Wand fort in die Mitte des Raumes, innerlich fluchend, dass sie sich verraten hatte. Sie versuchte sich zu erinnern, wie der Raum angelegt war, und hoffte, nicht gegen eine der Säulen zu laufen. Sie spürte, wie der Iraner ihre Richtung einschlug. Alle Muskeln aufs Äußerste gespannt, rechnete sie jeden Moment damit, dass er sie anspringen oder, schlimmer noch, erneut auf sie schießen würde. Dann schoss ihr blitzartig ein anderer Gedanke durch den Kopf; sie schwenkte ein wenig zur Seite und lief schneller, inständig hoffend, die richtige Richtung eingeschlagen zu haben.
Mit vorgestreckter Hand ertastete sie eine der drei Säulen, umrundete sie und änderte wiederum den Kurs, sodass sich die Säule zwischen ihr und ihrem rasch aufholenden Verfolger befand. Kaum dass sie die Säule hinter sich gelassen hatte, hörte sie den Aufprall eines Körpers auf Fels, begleitet von einem wütenden Schmerzensschrei.
Da hast du’s, du Dreckskerl.
Sie hatte ihn ausgetrickst, doch jetzt war keine Zeit zu triumphieren. Sie musste verschwinden. Sie steuerte auf die gegenüberliegende Wand zu, wo sie vorhin eine Öffnung entdeckt hatte, und tastete mit ausgestreckten Armen, bis sie eine Kante im Fels fand. Vorsichtig schlüpfte sie in den Gang hinein und suchte mit einer Hand an der Felswand nach dem Stromkabel. Die Taschenlampe zu benutzen kam jetzt nicht mehr in Frage. Schritt für Schritt tastete Tess mit den Füßen den Boden nach Stufen ab – und dann hörte sie es wieder.
Bewegung hinter ihr, diesmal hastiger, weniger vorsichtig. Wütender.
Begleitet vom zornigen, kehligen Gebrüll eines Mannes, der gerade erst wieder zu Atem gekommen war.
Zahed prallte von der steinernen Säule zurück und ging zu Boden wie eine Marionette, deren Fäden durchtrennt wurden. Immerhin hatte er den Arm vor sich ausgestreckt gehabt, sodass er im letzten Moment noch ein wenig zur Seite hatte ausweichen können und nicht frontal gegen die Säule gelaufen war.
Dennoch tat es verdammt weh. Seine Brust, die Schulter, die Hüfte, das Knie und die eine Seite seines Kopfes – mit all diesen Körperteilen war er gegen den massiven Fels geprallt. Ein metallischer Geschmack erfüllte seinen Mund. Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen; sie waren feucht von Blut.
Rasch versuchte er eine Art Bestandsaufnahme. Es schien nichts gebrochen zu sein, aber die heftigen Prellungen würden ihn sicher einige Zeit in seiner Schnelligkeit und Beweglichkeit einschränken. Er verdrängte den Schmerz und konzentrierte sich auf seine derzeit größere Sorge: die Pistole. Bei dem Aufprall hatte er sie fallen gelassen.
Kniend tastete er mit gespreizten Händen fieberhaft über den Boden. Nicht lange, und er hatte die Waffe gefunden. Innerlich über seinen Fehler fluchend, rappelte er sich auf und lauschte auf ein Geräusch von seinem Opfer.
Er spie noch einmal Blut aus, brüllte wutentbrannt ihren Namen und nahm die Verfolgung wieder auf.
«Tess! Du Hure, wo bist du!»
Der Schrei hallte von den Felswänden wider und trieb Tess an wie Wind, der in ein Segel griff. Sie hörte, wie ihr Verfolger den engen Gang betrat, gerade als sie die Höhle am anderen Ende erreicht hatte.
Diesmal würde sie es schwerer haben. Sie konnte ihre Taschenlampe nicht benutzen, und auch die Kabel waren ihr hier keine Hilfe mehr. Sie hatte keine Ahnung, wie der Raum beschaffen war – wie groß er war, welche Form er hatte, welche Hindernisse in ihm lauerten. Hier war sie ebenso angreifbar wie ihr
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