Dogma
Häresie zu schützen. Er hoffte auf einen weiteren Kreuzzug. Ihm und seinen Beratern war es einfach unbegreiflich, wie diese Templer gegenüber dem Auserwählten Gottes so arrogant und geringschätzig sein konnten – es sei denn, sie würden von irgendeiner dämonischen Macht gestärkt.»
Reilly kicherte. «Das haben die wirklich geglaubt?»
«Felsenfest. Wenn die Templer einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatten, wenn sie über Wissen verfügten, das die Welt verändern konnte – und den Mächtigen ihre Macht entziehen –, dann mussten sie vernichtet werden. Und das ist nicht einmal so absurd, wie es klingt. Wissen ist Macht, in vielerlei Hinsicht, und okkulte Waffen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte. Größenwahnsinnige Herrscher haben zu allen Zeiten nach dem ‹zusätzlichen Etwas› gesucht, der göttlichen Macht, dem geheimen Wissen, mit dessen Hilfe sie die Welt erobern könnten. Hitler war besessen vom Okkultismus. Die Nazis waren ganz fasziniert von schwarzer Magie und Runen, und zwar nicht nur in
Jäger des verlorenen Schatzes.
Mussolini hatte einen ziemlich durchgedrehten persönlichen Okkultisten namens Julius Evola. Du würdest staunen, welche abergläubischen und verrückten Glaubenssysteme viele Weltherrscher ernst nehmen, selbst heute.»
Reilly schwirrte allmählich der Kopf. «Und diese Truhen …?»
«Das ‹Werk des Teufels, von seiner Hand geschrieben mit Gift aus den Abgründen der Hölle. Seine verfluchte Existenz ist eine verheerende Gefahr für den Fels, auf dem unsere Welt gründet›», zitierte Tess. «Was steht in diesen Büchern, das die Mönche so geängstigt hat? Könnte an den Anschuldigungen gegen die Templer etwas Wahres gewesen sein? Waren sie tatsächlich Okkultisten, die schwarze Magie praktizierten?»
Reilly machte ein skeptisches Gesicht. «Ich weiß nicht. Das könnte doch alles metaphorisch gemeint sein.» Ihm fiel wieder seine erste Begegnung mit Brugnone ein, damals vor drei Jahren. «Ich könnte mir noch andere Schriften denken, die das Weltbild eines Mönchs erschüttern würden, du nicht auch?»
«Natürlich. Aber sei nicht zu voreingenommen. Ich nenne dir ein Beispiel, das ich von Jed habe. Du weißt, dass es in Spanien und Portugal viele Templer gab. Nun, irgendwann im Laufe des 13. Jahrhunderts gerieten sie in Schwierigkeiten und mussten den größten Teil ihrer Besitztümer in Kastilien zu Geld machen. Von allen ihren Enklaven dort hielten sie nur eine einzige, eine unbedeutende kleine Kirche irgendwo auf dem Land. Das schien keinen Sinn zu ergeben. Es war kein strategisch wichtiger Stützpunkt. Der Grundbesitz brachte nicht einmal genug ein, um ihre Ordensbrüder im Heiligen Land zu unterstützen. Und doch entschied der Orden, gerade diese eine
Encomienda,
diese eine Enklave, zu halten. Was nicht auf den ersten Blick zu erkennen war: Diese kleine Kirche hatte in der Tat eine interessante Eigenschaft, nämlich ihren Standort. Sie war genau in der Mitte Spaniens erbaut worden, in gleicher Entfernung von den äußersten Landspitzen. Und ich meine buchstäblich in
genau
gleicher Entfernung, bis auf den Meter.»
«Ich bitte dich», wandte Reilly ein, «was soll das heißen, ‹in genau gleicher Entfernung›? Wie sollten sie das bestimmt haben vor, was weiß ich, siebenhundert Jahren? Selbst heute, mit GPS -Standortbestimmung und –»
«Es ist haargenau der Mittelpunkt, Sean», beharrte Tess. «In Nord-Süd-Richtung und in Ost-West-Richtung. Man kann die Linien auf der Karte einzeichnen, und am Schnittpunkt steht die Kirche. Jed hat es anhand von GPS -Koordinaten nachgeprüft. Es stimmt wirklich. Und dieser Standort ist aus okkultistischer Sicht von erheblicher Bedeutung: Den Mittelpunkt eines Gebiets zu beherrschen verlieh einem angeblich magische Macht über das ganze Gebiet. Und der Standort hat zugleich noch weitere geographische Besonderheiten, die mit dem Pilgerweg nach Santiago und weiteren Stützpunkten der Templer zu tun haben. Ob das alles bloßer Zufall ist? Vielleicht. Oder vielleicht glaubten die Templer tatsächlich an diesen Hokuspokus. Oder es ist vielleicht mehr als nur Hokuspokus.»
Reilly stieß die Luft aus. Was immer es sein mochte, offenbar war der Mann, mit dem er es zu tun hatte, bereit, dafür zu töten. Mehr brauchte er vielleicht gar nicht zu wissen.
«Das heißt letztendlich … es könnte alles sein», schloss Reilly.
«Jep.» Tess steckte den letzten Bissen
Scaloppine
in den
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