Dogma
Mund.
Reilly sah sie forschend an, dann schüttelte er langsam den Kopf und schnaubte leise.
Tess blickte auf. «Was ist?»
«Ich kenne dich doch. Du denkst gerade daran, was für einen großartigen Stoff das alles für dein nächstes Buch abgeben wird, stimmt’s?»
Sie legte die Gabel ab und rekelte sich, dann ließ sie sich wieder in die Kissen zurücksinken. Sie drehte sich auf die Seite, um ihn anzusehen. «Können wir nicht über etwas anderes reden?» Dann grinste sie, und ihr Blick wurde verträumt. «Oder noch besser, was hältst du davon, wenn wir für eine Weile gar nicht reden?»
Er lächelte sie an, schob mit einem Schwung die Teller vom Bett auf den Servierwagen und beugte sich über sie.
Das Schrillen eines Telefons riss ihn sanft wie eine Alarmsirene aus dem traumlosen Schlaf, in den er erst nach Stunden versunken war.
Er hatte sich ewig lange herumgewälzt. Der vergangene Tag war eine rasante Achterbahnfahrt der Gefühle gewesen. Die Nacht war noch schwerer zu verkraften. Bilder von der Verwüstung und dem Blutvergießen im Vatikan erstickten sein Hochgefühl über das Wiedersehen mit Tess. Wieder und wieder durchlebte er das Geschehen, versuchte, sein eigenes Verhalten zu rechtfertigen, aber er wurde das quälende Gefühl nicht los, für all das verantwortlich zu sein. Er fragte sich, wie er mit der Last dieser Schuld leben sollte, die er mit jeder Stunde schwerer empfand.
Benommen stützte er sich auf die Ellbogen. Durch die Ritzen in den Jalousien drangen schmale Streifen Sonnenlicht. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe er wusste, wo er sich befand. Er warf einen Blick auf den Radiowecker auf dem Nachttisch. Kurz nach sieben Uhr früh.
Neben ihm begann Tess sich zu regen. Reilly griff zum Telefon und meldete sich.
Er hörte einen Moment lang zu, dann sagte er: «Stellen Sie ihn durch.»
Während er einsilbige Antworten ins Telefon sprach, setzte Tess sich auf, verschlafen und strubbelig, und sah ihn fragend an.
Er legte eine Hand über die Sprechmuschel. «Es ist Bescondi», flüsterte er. «Sie haben was. Im Registrarium.»
«Schon?» Ihre Augen begannen aufzuleuchten. «Conrad?»
«Conrad.»
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Kapitel Siebzehn
Flugplatz Parchi di Preturo – L’Aquila
Während er den Wagen durch die letzte der Kurven steuerte und auf das Tor am Ende einer malerischen kleinen Landstraße zufuhr, dachte Mansoor Zahed zufrieden daran, welch glückliche Wahl er mit seinem Piloten getroffen hatte. Der Flugplatz wirkte so verschlafen wie bei ihrer Landung zwei Tage zuvor. Der Pilot, den er angeheuert hatte, ein Südafrikaner namens Bennie Steyl, wusste offenbar, was er tat.
Eingenistet in einem stillen Tal in den Abruzzen, lag der kleine Flugplatz nur anderthalb Autostunden von Rom entfernt. Beim Näherkommen sah Zahed, dass dort wie beim letzten Mal kaum Betrieb herrschte. In Italien war die Sportfliegerei wesentlich teurer als in den anderen europäischen Ländern, was daran lag, dass die Steuern auf Flugbenzin sehr hoch waren, ebenso wie die Gebühren, die auf alles erhoben wurden, von der Nutzung des Luftraums bis hin zur Schneeräumung und Enteisung – und letztere Gebühr fiel grundsätzlich an, selbst in Sizilien im Hochsommer. So war der kleine Flugplatz nach und nach in Vergessenheit geraten, bis im Frühjahr 2009 ein Erdbeben der Stärke 6,3 die Region erschütterte. Die schmalen, kurvenreichen Ein- und Ausfallstraßen waren von den Fahrzeugen der Flüchtenden verstopft, aber der abgelegene, vernachlässigte Flugplatz, der nur einen Steinwurf von den zerstörten Städten und Dörfern entfernt lag, ermöglichte schnelle und umfangreiche Rettungsaktionen und humanitäre Hilfe. Der italienische Premierminister nahm das zum Anlass, den G8-Gipfel im Sommer desselben Jahres von Sardinien in das kleine mittelalterliche Städtchen L’Aquila zu verlegen – als Zeichen der Solidarität mit den Erdbebenopfern. Man richtete den Flugplatz in aller Eile her, um dort die Staatsoberhäupter der größten Industrienationen der Welt zu empfangen. Anschließend ging es hier wieder so ruhig und verschlafen zu wie zuvor.
Und das war Zahed gerade recht.
Er hielt bei dem kleinen Torhäuschen. In einiger Entfernung sah er bereits Steyls Maschine auf der Rollbahn stehen. Der weiße Flugzeugrumpf glänzte in der Morgensonne. Die zweimotorige Cessna Conquest stand ein wenig abseits von etwa einem Dutzend kleinerer, einmotoriger Maschinen des Fliegerclubs von L’Aquila, die entlang
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