Dogma
Kisten auf dem Dach befestigt waren, rissen, die Gepäckstücke fielen hinunter und versperrten den nachfolgenden Fahrzeugen den Weg. Zahed drängte den Bus weiter ab, bis dieser auf den Gehweg holperte, das dünne Metallgeländer durchbrach und von der Brücke stürzte.
Zahed steuerte seinen Wagen wieder geradeaus und beobachtete im Rückspiegel, wie Reilly zu seiner größten Befriedigung genau das tat, worauf er gehofft hatte.
Verbissen sah Reilly zu, wie der weiße Mondeo den alten Bus auf den Gehweg und von der Brücke drängte.
Der Bus brach einfach durch das Geländer und verschwand für einen Sekundenbruchteil außer Sicht. Gleich darauf spritzte Gischt auf wie eine weiße Wolke. Angesichts der Berge von Gepäck, die so instabil auf dem Dach verstaut gewesen waren, konnte Reilly sich denken, dass der Bus voller Menschen war – Menschen, die jetzt gerade unter Wasser gezogen wurden.
Der Fahrer des Wagens vor ihm machte eine Vollbremsung, und Reilly tat dasselbe. Hinter sich hörte er Reifen quietschen und Fahrzeuge ineinanderkrachen. Er sah, dass ihm genug Platz blieb, an den Wagen vor ihm vorbeizumanövrieren, aber das konnte er nicht tun. Nicht angesichts dieser vielen Menschen, die wahrscheinlich dem Tod geweiht waren.
Er musste helfen.
Hastig kletterte er aus dem Wagen und rannte auf die große Lücke im Geländer zu. Weit voraus sah er das Heck des weißen Ford am Ende der Brücke verschwinden, und für einen Moment stand ihm das gehässige Grinsen des Mannes vor Augen, der darin entkam. Hurensohn, dachte Reilly, und die Wut und Frustration trieben ihn an, den Rand der Brücke noch schneller zu erreichen. Noch mehr Fahrer kamen dazu und zeigten, aufgeregt durcheinanderrufend, nach unten.
Von dem alten Bus ragte nur noch der hintere Teil des Daches wie ein kleiner Eisberg aus dem Wasser. Reilly suchte die Wasseroberfläche ab, doch er sah niemanden schwimmen. Die Fenster des Busses schienen sich nicht öffnen zu lassen bis auf einen schmalen Spalt oben, durch den niemand passte. Reilly betrachtete die Szene eine oder zwei endlose Sekunden lang und fragte sich, ob die Türen hydraulisch funktionierten und nicht zu öffnen waren, weil die Elektrik ausgefallen war, oder ob die Fahrgäste zu sehr unter Schock standen, um die Notausgänge zu finden. Niemand kam heraus. Sie saßen in der Falle.
Und niemand unternahm irgendetwas.
Reilly blickte in die verstörten Gesichter der Umstehenden, einer gemischten Gruppe von Jungen und Alten, Männern und Frauen, alle im Schock, die wirr durcheinanderredeten und düster in die Tiefe starrten. Und dann handelte er.
Keine weiteren Toten. Nicht meinetwegen. Nicht, wenn ich es verhindern kam.
Mit schnellen Bewegungen entledigte er sich seiner Schuhe und der Jacke und sprang.
Im Wasser trieben Gepäckstücke und Kartons, die ihn behinderten, aber es gelang ihm dennoch, das Heck des Busses zu erreichen und sich an der Dachreling festzuhalten, ehe das Gefährt inmitten eines Schwalls von Luftblasen vollends unterging.
Reilly klammerte sich fest, während der Bus langsam tiefer sank. Durch das trübe Wasser sah er die gespenstischen, verängstigten Gesichter der Fahrgäste auf der anderen Seite der Heckscheibe. Sie trommelten verzweifelt mit den Fäusten an das Glas und zerrten an dem Griff für den Notausstieg, jedoch ergebnislos. Während er sich mit einer Hand festhielt, zog Reilly mit der anderen seine Pistole aus dem Halfter und versuchte damit den Fahrgästen, die ihm am nächsten waren, einen Wink zu geben, sie sollten auf Abstand gehen. Sie verstanden nicht, doch das konnte ihn nicht aufhalten. Er setzte die Waffe ganz oben an die Glasscheibe, zielte auf die Unterseite des Daches – und drückte ab. Wieder und wieder, fünf schnelle Schüsse, die das Fenster durchschlugen. Die Schüsse beschädigten das Fenster so stark, dass er es mit Tritten und durch Schläge mit dem Pistolengriff herausbrechen konnte. Die riesige Luftblase, die dabei entwich, hätte Reilly beinahe mitgerissen.
Einer nach dem anderen drängten sich die eingeschlossenen Menschen in wilder Panik hinaus, ein Gewirr von Armen, die sich Reilly verzweifelt entgegenstreckten und nach seiner Hand griffen, ehe sich die Freigekommenen abstießen und nach oben ans Licht ruderten. Reilly hielt durch, solange er eben konnte. Als er schließlich gezwungen war aufzutauchen, konnte das Hochgefühl, alle diese Menschen gerettet zu haben, nicht ganz die bittere Frustration wettmachen, die in
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