Dogma
seinen Eingeweiden bohrte.
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Kapitel Zweiundzwanzig
Als Reilly wieder den Patriarchensitz erreichte, war das Gelände ein einziges großes Chaos. Die Zufahrtsstraße war von Feuerwehrautos, Krankenwagen und Polizeifahrzeugen blockiert. Überall liefen Rettungskräfte hektisch umher.
Er war zu einem der Stützpfeiler geschwommen und wieder auf die Brücke geklettert. Endlich war auch ein Polizist erschienen, der sich nach einiger Diskussion bereit erklärte, ihn zum Phanar zurückzufahren. Reilly hatte sein Hemd ausgezogen und die Jacke übergestreift, deren er sich vor seinem Sprung ins Wasser entledigt hatte, doch seine Hose war nun einmal durchnässt, was seinen Fahrer nicht gerade begeisterte. Nachdem er die letzten paar hundert Meter der von Rettungsfahrzeugen blockierten und mittlerweile abgesperrten Straße zu Fuß zurückgelegt hatte, traf er am Tor zum Gelände auf Tess. Bei ihr standen Ertugrul und ein paar junge Militärpolizisten, die für Reillys Geschmack etwas zu kampflustig aussahen. Überforderte Polizisten hatten alle Mühe, Reporter und Gaffer fernzuhalten, während sich auf den Mauern und Gehwegen ringsum eine kleine Armee von Katzen – in Istanbul als Glücksbringer verehrt – aalte, die träge das Geschehen beobachteten.
Tess strahlte vor Erleichterung, als sie Reilly sah, doch dann bemerkte sie, dass er kein Hemd trug und seine Hose durchnässt war. Fürsorglich sah sie ihn an.
Sie gab ihm einen raschen Kuss und schloss ihn in die Arme. «Du musst aus diesen Klamotten raus.»
«Ist meine Tasche noch im Wagen?», fragte Reilly, an Ertugrul gerichtet.
«Ja», antwortete der Rechtsattaché. «Er steht dahinten an der Straße.»
Reilly warf einen Blick auf das Gelände, wo Sanitäter gerade eine Trage in einen Krankenwagen schoben. Die Gestalt, die darauf lag, war bis über den Kopf mit einer grauen Decke verhüllt. Eine Schar Priester standen mit verlorenen Mienen und hängenden Schultern um sie herum.
Reilly sah Ertugrul fragend an.
«Pater Alexios. Der Archimandrit der Bibliothek. Ein einziger Schuss, genau zwischen die Augen.»
«In einer Seitengasse ein Stück die Straße hinunter haben sie auch die Leiche eines Priesters gefunden», ergänzte Tess.
«Ohne Robe», vermutete Reilly.
Tess nickte.
Damit hatte er gerechnet. «Und der Brand?»
«Das Feuer ist mittlerweile gelöscht, aber die Bibliothek ist stark verwüstet, wie Sie sich wohl vorstellen können», sagte Ertugrul. Und mit einem wütenden Schnauben fügte er hinzu: «Ich nehme an, er hat bekommen, was er wollte.»
«Wieder einmal», bemerkte Reilly bitter.
Mit vor Wut geballten Fäusten stand er einen Moment lang da und betrachtete schweigend die Szene. «Ich bin gleich wieder da», sagte er dann und lief die Straße entlang, um sich umzuziehen.
Unterwegs fiel ihm etwas ein, und er zog sein BlackBerry aus der Jackentasche. Aparo meldete sich nach dem ersten Rufzeichen.
«Bring mich auf den neuesten Stand, Kumpel», drängte er.
«Er ist mir entkommen. Verdammt, dieser Kerl ist wahnsinnig.» Im Geiste sah er wieder vor sich, wie der Bus von der Straße abgedrängt wurde und von der Brücke stürzte. «Du sagtest, du hast Neuigkeiten für mich?»
«Ja», bestätigte Aparo. «Wir haben endlich Rückmeldung vom militärischen Geheimdienst. War nicht einfach, aus denen was rauszukriegen, das kann ich dir sagen. Die Jungs sind ganz schön zugeknöpft.»
«Also, wer ist er?»
«Den Namen wissen wir nicht. Nur, wo er zuletzt in Erscheinung getreten ist.»
«Und wo?»
«Bagdad, vor drei Jahren. Erinnerst du dich noch an diesen Computerexperten, der aus dem Finanzministerium entführt wurde?»
Reilly kannte den Fall. Er hatte damals, im Sommer 2007, für großes Aufsehen gesorgt. Der Mann, ein Amerikaner, war aus dem Technologiezentrum des Ministeriums entführt worden, zusammen mit seinen fünf Bodyguards. Die Kidnapper waren – in voller Uniform der Republikanischen Garde – einfach dort hineinmarschiert und hatten die Männer «verhaftet», wie sie es nannten. Der Computerexperte war erst einen Tag zuvor in Bagdad eingetroffen. Er sollte eine hochentwickelte neue Software installieren, mit der die Milliarden Dollar internationaler Hilfsgelder und Staatseinkünfte aus dem Ölhandel verfolgt werden konnten, die durch die irakischen Ministerien flossen – Milliarden, die beinahe so schnell versickerten, wie sie hereinkamen. Ein großer Teil der verschwundenen Gelder wurde zu den
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