Dohlenflug
gamslederner Herrentracht wurde von einigen jungen Frauen umringt, eine hübscher
als die andere. Der Mann war etwa vierzig Jahre alt, weder besonders groß
noch besonders attraktiv, hatte aber eine sportliche Figur, dunkles
gelocktes Haar und einen grausamen Mund ähnlich dem, der einen Sean
Connery unverwechselbar gemacht hat.
Ein Kurgast aus dem
Ruhrgebiet suchte einen Anknüpfungspunkt, um mit dem Mann ins Gespräch
zu kommen – und über ihn vermutlich auch mit den Grazien an
seiner Seite.
»Entschuldigen Sie,
junger Mann, können Sie mir sagen, wen diese Büste auf dem
Marmorblock darstellt?« Er zeigte auf das Kaiser-Franz-Denkmal vor
dem »Salzburger Hof«.
Der »junge Mann«
war in etwa gleich alt wie der Frager, antwortete aber trotzdem geduldig:
»Das ist Franz der Erste aus dem Haus Habsburg, Kaiser von Österreich,
vor 1809 als Franz der Zweite sogar noch Kaiser des Heiligen Römischen
Reiches deutscher Nation.« Die Auskunft klang auswendig gelernt, der
Gamslederne gab sie nicht zum ersten Mal.
»Was Sie nicht sagen!
Und warum haben ihm die Hofgasteiner ein Denkmal gesetzt?«
Der Gefragte erwog einen
Augenblick lang, den aufdringlichen Menschen mit einem Hinweis auf die
Inschrift am Sockel abzufertigen, entschied sich aber als gelernter Österreicher
doch für die Höflichkeit.
»Das war so: Die
Hofgasteiner hatten mit dem Kardinal Ladislaus Pyrker einen mächtigen
Fürsprecher bei Seiner Apostolischen Majestät. Seine Büste
befindet sich übrigens gleich da vorn neben der Kirche. Der Kaiser
verpflichtete also die Badgasteiner, den Hofgasteinern auf ewige Zeiten
einen Teil ihres Thermalwassers zu überlassen, und dafür haben
ihm die Hofgasteiner dieses Denkmal errichtet. Wie ich finde, zu Recht.«
»Sie sind wohl
Badgasteiner?«
»Sie sagen es.«
Der Gamslederne grinste, war aber mit den Gedanken sichtlich woanders, was
auch der prallen Brünetten aufgefallen zu sein schien, die sich bei
ihm eingehakt hatte.
»Pauli, was ist nur
heut los mit dir? Dich interessiert der Umzug ja überhaupt nicht, und
du hast der Lisi und mir noch kein einziges Kompliment zu unseren Dirndln
gemacht. Stattdessen starrst du dauernd auf das junge Mensch da drüben
auf der anderen Straßenseite.«
Das junge Mensch war das etwa
vierzehnjährige rotblonde Mädchen mit dem Handy am Ohr. Als es
jetzt bemerkte, dass es beobachtet wurde, verschwand es rasch in der
Zuschauermenge.
»Ja, seit wann stehst
du denn auf so grüne Zwetschgen, wenn die reifen Äpfel vor
deiner Nase hängen?«, krähte Lisi an seiner rechten Seite
und drückte das Mieder ihres Dirndls und die darin befindlichen
ansehnlichen »Äpfel« fest gegen seinen Oberarm.
»So ein Blödsinn,
ich steh doch nicht auf Kinder«, verwahrte sich Pauli. »Ich
hab das Madl nur mit einer Verwandten verwechselt. Deshalb hab ich
hingschaut. Kommt, gehn wir auf ein Schnapserl zum Kirchplatz hinüber!«
3
»HABEN SIE irgendetwas
an der Leiche verändert?«, fragte Oberleutnant Melanie Kotek
vom Landesgendarmeriekommando Salzburg die Hütteneignerin.
»Wo denken Sie hin,
Frau … Frau …«
»Kotek«, ergänzte
Kotek. Sie war müde. Zuerst die Fahrt am späten
Sonntagnachmittag vom Franz-Hinterholzer-Kai in Salzburg bis ins Gasteiner
Tal und dann auch noch hier herauf. Es war kaum zu glauben, aber für
die paar Kilometer von der Gasteiner Klamm zur Rettenwänd-Hütte
im Schwalbenkar hatten sie ebenso lang benötigt wie für die
gesamte Strecke zuvor. Dabei hatte Chefinspektor Leo Feuersang den
Dienst-Quattro regelrecht über die Forststraßen geprügelt,
und Gruppeninspektor Werner Wegener von der Spurensicherung, der Fahrer
des zweiten Audi, war nicht zimperlicher gewesen. Seine Beifahrer,
Bezirksinspektor Oliver Stubenvoll, Leiter der Spusi, und Dr. Sebastian
Pernauer, Chef der Gerichtsmedizin Salzburg, waren jetzt noch grün im
Gesicht.
»Nein, Frau …
äh … Oberleutnant, natürlich hab ich den armen Fredl
nicht angerührt«, ereiferte sich Resi Neuhuber. Die Tränen
schossen der noch immer geschockten Frau über die gut gepolsterten
Wangen. »Nicht einmal angetippt hab ich ihn, ob er vielleicht noch
lebt. Mich hat’s viel zu sehr gegraust. Schon als ich in die Hütte
getreten bin, hat sich ein dichter Schwarm Schmeißfliegen von seiner
Leiche erhoben, und es hat gestunken wie in einem aufgelassenen
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