Dohlenflug
Schlachthaus! Fast hätte ich gekotzt. Man konnte es mit einem Blick
sehen: Da hat ein Irrer ganze Arbeit geleistet, und zwar schon vor
geraumer Zeit.«
Alfred Schleißheimers
Leichnam bot tatsächlich keinen schönen Anblick. Splitternackt
und mit gespreizten Beinen lag er auf dem Hüttentisch –
inmitten einer riesigen angetrockneten Blutlache. Jemand hatte ihm den
Penis samt Skrotum fein säuberlich abgeschnitten und zwischen die Zähne
gestopft. Auf Stirn, Wangen, Brust und Bauch war mit Blut etwas gemalt
worden, das an magische Zeichen erinnerte – die allerdings auch längst
angetrocknet und teilweise abgebröselt waren. Erst beim zweiten Blick
fiel der Einstich in Herznähe auf.
»Sein eigenes Blut«,
sagte Pernauer überflüssigerweise. »Wahrscheinlich liegt
er schon seit gestern da.« Als er seine Hand bewegte, veränderte
sich auch das monotone Summen der Fliegen.
»Der Leichnam hat
übrigens daruntergelegen.« Er wies auf eine bunt bedruckte
Wolldecke, die jemand achtlos auf die Bank der Sitzecke geworfen hatte.
»Jemand muss sie von ihm runtergezogen haben, als das Blut schon
gestockt war, aber dieser Jemand muss nicht unbedingt der Mörder
sein.«
»Wie ist der Mann zu
Tode gekommen, Wastl?«, fragte Melanie Kotek, während sie
Wegener beim Fotografieren zusah. Sie selbst hatte vor Jahren ebenfalls
als Tatort-Fotografin beim LGK angefangen.
»Zunächst hat ihm
jemand einen wuchtigen Schlag gegen die rechte Schläfe versetzt, wie
die Verfärbung hier beweist.« Er zeigte auf einen kaum
sichtbaren Bluterguss. »Mit einem harten runden Gegenstand,
vielleicht einem Totschläger. Jedenfalls hat ihn dieser Hieb betäubt.
Unmittelbar danach wurde er geschächtet.« Die Stichwunde am
Halsansatz war relativ klein und unscheinbar. »Deshalb auch die
Sauerei hier am Tisch und die wenig ausgeprägten Totenflecken. Der
Stich unter dem linken Rippenbogen hindurch nach oben in den Ventrikel war
nur noch Draufgabe. Der oder die Mörder wollten auf Nummer sicher
gehen. Sowohl der Schlag als auch der Messerstich, der im spitzen Winkel
am Sternum vorbeigeführt wurde, weisen den Mörder als Linkshänder
aus. Es sei denn …«
»Es sei denn was?«,
fragte Kotek.
»Es sei denn, der Mörder
hat sein Opfer von hinten attackiert. Dann könnte er auch Rechtshänder
sein. Ich seh mir das daheim mal genauer an.«
»Anzeichen von
Gegenwehr?«
Pernauer schüttelte den
Kopf. »Nein. Der Ermordete dürfte mit der Attacke nicht
gerechnet haben. Der Schlag traf ihn überraschend und präzise.
Man kann ihn durchaus als ›Keulung‹ bezeichnen, so exakt
wurde er ausgeführt. Deutet also auf einen Profi hin – wie auch
die Messerführung bei den Stichen in Halsschlagader und Herz und der
Totalkastration. Eigentlich wären für diese Aktionen
verschiedene Klingen nötig gewesen, es sei denn, der Täter hat
ein Schlachtmesser benutzt, wie man es für das Ausbluten, Zerteilen
und Entbeinen von Nutztieren verwendet.«
»Ein Schlachtmesser?«,
fragte Kotek etwas konsterniert. »Wie soll ich mir das vorstellen?
Wie eine Art Machete?«
Pernauer lachte. »O
Gott, nein! Ein Schlachtmesser ist ein eher unscheinbares Gerät.
Sieht aus wie ein mittelgroßes Küchenmesser, das oft
geschliffen wurde. Nur der Fachmann erkennt, was er da in der Hand hält.
Das Heft ist äußerst stabil, die schmale Klinge aus
Spezialstahl scharf wie ein Skalpell und die Spitze zusätzlich ausgehärtet,
damit sie beim Entbeinen nicht abbricht oder sich verbiegt.«
»Das würde den Täterkreis
ziemlich einschränken«, meinte Chefinspektor Feuersang. Sein
animalisches Erscheinungsbild faszinierte Resi Neuhuber noch immer. Noch
nie hatte ein Mann sie bisher so stark an den hofeigenen Pinzgauer
Zuchtstier namens Rudi erinnert, wie es der Chefinspektor jetzt tat.
»Ja, aber nicht nur auf
Metzger, Jäger, Chirurgen und Profikiller«, sagte Pernauer.
»Hier in den Tauerntälern im Innergebirg stammt jeder Zweite
aus Familien mit bäuerlichem Hintergrund. Die meisten von ihnen können
mit Hirschfänger und Schlachtmesser umgehen – Männlein wie
Weiblein.«
»So wie Personen aus
dem Gastgewerbe«, ergänzte Feuersang.
Melanie Kotek verzog ihren
schönen Mund. »Wie tröstlich. Dann können wir ja
gleich mal die Hälfte der Talbevölkerung verhaften. Aber sehe
ich das richtig, dass dies keine Tat aus Leidenschaft, sondern eine
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