Dohlenflug
Diese Vögel riechen Blut kilometerweit. Als ich dann gesehen hab,
dass die Hüttentür einen Spaltbreit offen stand, hat mich das
endgültig alarmiert. Hab gedacht, irgendein Sandler hätte was
gewildert und sich hier eingenistet. Also hab ich zu Hause angerufen und
meinen Leuten gesagt, was ich vorgefunden hab.«
»Hier oben hat man
Handyempfang?«, warf Melanie Kotek ein.
»Natürlich. Sie
haben doch die Relaisstation drüben am Stubnerkogel direkt im
Blickfeld.«
»Gut. Und was haben Sie
dann gemacht?«
»Ich hab mein
finnisches Jagdmesser gezogen.«
Sie nahm es aus einer
Oberschenkeltasche ihrer grünen Jagdhose und zog es aus der
schlichten Lederscheide. Es war ein Hirschfänger mit furchterregend
breiter und scharf geschliffener Klinge.
»Ohne fahr ich nie
allein irgendwohin. Heutzutage rennt ja überall Gesindel herum.
Schließlich hab ich die Tür mit dem Fuß aufgestoßen
– und bin mordsmäßig erschrocken. Eine Dohle hatte sich
in ihrer Gier bis ins Innere der Hütte gewagt und flatterte panisch
krächzend an mir vorbei ins Freie.«
»Ja, die Gier ist ein
Luder«, fühlte sich Feuersang zu kommentieren bemüßigt.
Resi Neuhuber zuckte mit den
Achseln. »Da lag Fredl dann.«
»Er war nicht
zugedeckt?«
»Nein, er lag so da wie
jetzt. Ein furchtbarer Anblick. Und vorgestern Vormittag habe ich noch auf
der Sparkasse mit ihm getratscht.« Sie wurde kurzatmig, und die Tränen
begannen wieder zu fließen.
»Du hast ihn also näher
kennt?«, fragte Feuersang im breitesten Pongauer Dialekt und outete
sich durch das Duzen auch gleich als Innergebirgler.
»Wieso denn näher?«,
fragte die resolute Fünfzigerin misstrauisch zurück, ohne
allerdings im Geringsten über die vertrauliche Anrede beleidigt zu
sein.
»Nun, du sagtest doch
eben –«
»Ach, du meinst, weil
ich mit ihm getratscht habe? Ha! Würde ich jeden Mann näher
kennen, mit dem ich ein bisschen plauder, da würde mir mein Alter
sauber den Marsch blasen. Nein, ich kannte Fredl nicht näher. War ja
auch vollkommen überrascht, ausgerechnet ihn hier als Leiche
anzutreffen.«
»Er hatte einen Schlüssel
zu der Hüttentür«, gab Feuersang zu bedenken.
Sie zuckte mit den Achseln.
»Woher er den hatte, weiß ich nicht. Von mir jedenfalls nicht.
Ich kann mir bei seinem Ruf zwar durchaus vorstellen, wofür er die Hütte
brauchte, aber meine Familie und ich, wir haben nichts damit zu tun. Fredl
war zweifellos ein sympathischer Bursche, hatte immer ein nettes Wort für
einen übrig. Vielleicht bin ich ja deshalb öfter zur Bank
gegangen, als ich eigentlich gemusst hab, aber mehr war da wirklich nicht
dahinter.«
»Warum denn nicht?«,
fragte Feuersang, den Skeptiker spielend. »Du bist doch eine ganz
saubere Person.«
Resi Neuhuber kicherte
verlegen. »Du bist ja ein noch ärgerer Schmeichler, als der
Fredl es war. Aber nein, bei ihm waren schon andere Hasen angesagt, jüngere
und knackigere. Würde mich nicht wundern, wenn –« Sie
verstummte plötzlich.
»Wenn was?«,
setzte Feuersang sanft nach. Kotek hielt sich jetzt zurück, ihr
Kollege hatte sichtlich den besseren Draht zur Zeugin.
»Also, wenn Salli,
seine Frau, etwas mit seinem Tod zu tun hat. Eigentlich hab ich zuerst an
sie gedacht, als ich ihn da so liegen sah. Andererseits …«
Feuersangs aufmunternder
Blick bewegte sie zum Weiterreden. »Andererseits will es mir einfach
nicht in den Kopf, dass sie für eine derartige Sauerei verantwortlich
sein soll. Sie ist selbst kein Kind von Traurigkeit, deshalb passt eine so
abartige Verstümmelungsnummer als Rache einfach nicht zu ihr. Wäre
er vergiftet worden oder hätte er einen rätselhaften Autounfall
gehabt, dann wäre ich die Letzte gewesen, die sie nicht sofort verdächtigt
hätte. Schließlich werden durch seinen Tod für sie gleich
mehrere Probleme gelöst.«
»Nämlich welche?«
Feuersang schenkte der Zeugin sein gewinnendstes Lächeln. Respektlose
Kollegen bezeichneten es auch gern als Nussknacker-Grimasse, aber Resi
Neuhuber schien es zu gefallen.
»Nun, erstens ist sie
ihn los. Jetzt kann sie ihr Leben endgültig so leben, wie es ihr
schon immer vorschwebte, und kein Fredl wird ihr jemals wieder ihre anrüchige
Jugend in der Öffentlichkeit vorwerfen – sie war schon als
junges Mädchen ein ziemlich leichtes Hemd. Zweitens erbt sie das
Haus, gemeinsam mit ihrer Tochter natürlich. Aber
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