Dohlenflug
wohlüberlegte
war?«
Pernauer zuckte mit den
Schultern. »Bin ich ein Profiler? Kalter Hass macht auch eine ruhige
Hand und ist trotzdem Leidenschaft. Wenn du allerdings meinst, dass die
Tat vermutlich nicht spontan verübt worden ist, dann bin ich deiner
Meinung.«
»Und die
abgeschnittenen Genitalien sind wohl als Hinweis zu verstehen«,
sagte die Ermittlerin mehr zu sich selbst als an die Kollegen gerichtet.
»Vielleicht wurde das Opfer ja für ein Sexualdelikt bestraft,
oder es soll zumindest so aussehen.«
Wegener, der gerade mit der
Fußbodenuntersuchung fertig war, erhob sich aus seiner knienden
Stellung. »Eine Vergewaltigung oder Nötigung könnte der
Hintergrund sein, aber genauso gut Rivalität, Demütigung oder
einfach nur Zurückweisung.«
Kotek grinste. »Du
sagst das in einem Ton, als wärest du selbst täglich Opfer
solcher Gefühlskatastrophen, was ich mir bei dir allerdings kaum
vorstellen kann.«
Es war allgemein bekannt,
dass der ebenso fesche wie begüterte Mittdreißiger und
Junggeselle Wegener wie eine Biene von Blüte zu Blüte flatterte
und demgemäß meistens die Damen die Leidtragenden waren.
»Fälle mit
derartigem Tatmuster hatten wir tatsächlich schon«, kam
Stubenvoll seinem Kollegen zu Hilfe. »Jedenfalls muss der Täter
oder die Täterin das Opfer sehr gut gekannt haben. Dazu passt auch,
dass kein Handy bei Schleißheimers Sachen zu finden war.«
»Und diese Zeichen
…?« Da Kotek diesmal keine Antwort erhielt, wandte sie sich
an die Zeugin. »Wann genau haben Sie den Toten gefunden, Frau
Neuhuber? Kommen Sie, wir gehen jetzt mal hinaus vor die Hütte und
lassen die Kollegen von der Kriminaltechnik ihre Arbeit fertig machen.«
Kotek, Resi Neuhuber und
Feuersang setzten sich auf die frisch gezimmerte Hausbank vor der Hütte.
Die Kniebundhose der Bäuerin erinnerte an ein auf den Kopf gestelltes
Zirkuszelt. Resi Neuhuber war nicht eitel, einen derartigen Luxus konnte
sie sich in ihrem Umfeld gar nicht leisten, aber der Blick auf Koteks
knackigen Hintern, den eine Levi’s Jeans wie eine zweite Haut
umspannte, machte sie doch ein bisschen traurig. Noch mehr als um die
Figur beneidete sie die jüngere Frau allerdings um das wallende
dunkelbraune Haar, das ihr weit über Schultern und Rücken fiel.
Eine solarbetriebene Lampe
über der Hüttentür spendete ihnen ausreichend Licht. Die
beiden Frauen blickten direkt zum Stubnerkogel und zum Zittrauer Tisch hinüber.
Die Umrisse der beiden markanten Bergkegel hoben sich vor dem wolkenlosen
Abendhimmel noch deutlich ab.
»Heut um drei Uhr
nachmittags hab ich ihn gefunden«, erzählte Resi Neuhuber.
»Danach hab ich sofort die Polizei angerufen. Die Hütte wurde
kurzfristig von Jagdgästen gebucht – ab nächster Woche.
Jetzt haben wir ja schon Sonntag, also bin ich heraufgefahren, um noch
einmal nach dem Rechten zu sehen. Und das, obwohl ich so gern den Umzug
vom Erntedankfest gesehen hätte. Meine Söhne machen mit ihrem
Wagen sicher den ersten Preis.«
Die jüngere Kotek sah
sie bedauernd an. »Da muss ich Ihnen gleich noch eine Enttäuschung
bereiten. Sie werden Ihre Gäste bitten müssen, ihre Ankunft um
einige Tage zu verschieben, bis die Hütte von uns freigegeben ist.«
»Muss das denn sein?«,
fragte Resi Neuhuber ungnädig. »Das Blut und der andere Dreck
sind doch mit Ätznatron schnell weggewaschen, da hatten wir schon
ärgere Sauereien zu beseitigen. Die Gäste heutzutage sind nämlich
auch nicht mehr das, was sie einmal waren.«
»Es muss sein, Frau
Neuhuber«, bekräftigte Kotek nachdrücklich. »Sind
Ihnen heute beim Herauffahren eigentlich ein Fahrzeug oder Fußgänger
aufgefallen?«
»Wieso denn heute? Es
hieß doch, der Fredl sei schon gestern ermordet worden«,
entgegnete Resi Neuhuber spitz.
»Beantworten Sie bitte
meine Frage.«
Die Neuhuber schüttelte
den Kopf. »Nein, mir ist niemand aufgefallen. Ich hab mich nur
über Fredls Toyota gewundert, der vor unserer Hütte stand. Den
RAV4 hab ich natürlich sofort erkannt und mich noch gefragt, was
Fredl ausgerechnet am Erntedankfest hier oben in der Einschicht zu suchen
hat. Aber dann war mir klar, dass da etwas nicht stimmen konnte.«
»So? Warum denn?«
»Auf den Bäumen
neben der Hütte saßen Hunderte von Dohlen. In so einer Masse
tauchen die nur auf, wenn irgendwo verletztes oder erlegtes Wild liegt.
Weitere Kostenlose Bücher