Doktor auf Abwegen
getrunken haben. Sie brauchen wirklich eine Frau, die für Sie sorgt, eine vernünftige und verständnisvolle Person, die Sie zu behandeln weiß. Schwester!» rief sie einem jungen, hübschen Mädchen zu, das vorübereilte. «Haben Sie nicht gelernt, daß eine Schwester nur im Fall eines Brandes oder eines Blutsturzes laufen darf?»
«Heilige Muttergottes, ja», erwiderte diese atemlos. «Der Grill in der Küche steht in Flammen. Was soll ich nur tun?»
Die Augen der Oberin verengten sich. «Fachen Sie die Flammen nur an, Schwester, fachen Sie sie an.» Sie blickte um sich, aber Sir Lancelot war ihr bereits entschlüpft.
«Wohin gehen wir jetzt?» fragte Amelia. Er packte sie beim Ellbogen und eilte mit ihr einen langen, schmalen, fensterlosen Korridor entlang, der mit Gehenden, Liegenden, Schlafenden oder Toten vollgestopft war.
«In den OP. Der wird Sie vielleicht interessieren. Er entstand an der Stelle der Leichenkammer des alten Arbeitshauses. Hallo, Ronnie!» Er blieb plötzlich stehen. «Was tun Sie in diesem Rollstuhl?»
Ein hochgeschossener, knochiger junger Mann mit sandfarbenem Haar und großen, unschuldsvollen blauen Augen saß allein und verlassen im Korridor. Er trug Jeans, ein offenes geblümtes Hemd, um den Hals eine Kette bunter Perlen, auf dem einen Fuß eine Sandale.
«Ich stürzte vom Moped.» Er sprach ruhig und formulierte präzise, fest überzeugt von der Exaktheit, Richtigkeit und Gültigkeit seiner Worte. «Es scheint, als hätte ich mir den Knöchel gebrochen.»
«Aber mein lieber Junge», rief Sir Lancelot besorgt. «Kommen Sie mit, ich lasse Sie auf der Stelle röntgen und gipsen.»
«Sie wissen, wie tadelnswert ich das finde. Ich will meinen Platz in der Schlange einnehmen, genau wie jeder andere. Der Krankenträger schob mich zum Röntgenzimmer, aber ich entdeckte, daß er eigentlich dienstfrei hatte, und bestand darauf, daß er mich hier stehenließ. Ein zweiter wird sich zweifellos bald einfinden.»
«Aber haben Sie keine Schmerzen?»
«Ich leide lieber Schmerzen, bevor ich meine Mitmenschen übervorteile.»
«Wie Sie wollen», erwiderte Sir Lancelot kurz. «Aber bei der Warterei vor dem Röntgenzimmer wird Ihre Fraktur wahrscheinlich schon geheilt sein, bevor eine Aufnahme zustande kommt.»
«Mr. Cherrymore?» Ein junges, sommersprossiges, rundliches Mädchen in Schwesterntracht eilte herbei. «Ich bin Schwester Tosker. Man schickt mich von der Röntgenabteilung, um Sie zu holen. Kommen Sie jetzt. Wir können Sie nicht so lange ohne richtige Behandlung dasitzen lassen. Sehen Sie doch, wie sehr Sie den Verkehr behindern.»
«Vielen Dank, Schwester. Übrigens», rief der Patient Sir Lancelot zu, als er weggerollt wurde, «ich möchte nicht mehr Ronnie genannt werden. Nur mehr Ron. Es klingt demokratischer.»
«Was ist denn das für ein Blindgänger?» fragte Amelia.
«Ein Blindgänger nur für die Pairswürde. Er wurde kürzlich Lord Cherrymore, verzichtete aber auf den Adel, um ein einfacher Mr. Cherrymore zu werden. Wie Lord Home, der als Premierminister zu Sir Alec Douglas-Home wurde, sich dann aber wieder Lord Home nannte, als er entdeckte, daß er keiner mehr war.»
«Ihr Briten seid reif für eine Visite von Margaret Mead. Eure Stammessitten sind komplizierter als die der Polynesier.»
Sir Lancelot eilte den Korridor entlang. «Ronnie — oder Ron, wie immer er heißen will — geht in die Politik. Er muß verrückt sein.»
«Als verkalkter, blaublütiger Tory?»
«Großer Gott, nein. Als Linksaußen natürlich. —Ja, was wollen Sie?»
Eine ergrimmte Frau in mittleren Jahren hatte sich ihm in den Weg gestellt. «Wann kommt denn mein Mann endlich mit seinen Füßen dran? Immer seid ihr Arzte schuld an allem. Für die, die Geld haben, geht alles glatt», erklärte sie bitter. «Privatpatienten brauchen nicht zu warten, daß ihre Füße in Ordnung gebracht werden. Oh nein! Und kriegen ein eigenes Zimmer und ein eigenes Fernsehen. Aber mein Harry, der solche Schmerzen in den Füßen hat —»
«Wenn wir genügend Krankenträger, Schwestern und Apparate hätten, Madam, dann würde ich meine Warteliste binnen vierzehn Tagen abstreichen, das versichere ich Ihnen. Und was haben Sie zu meckern?» fragte er einen adrett angezogenen jungen Mann, der neben ihm stand.
«Ich persönlich habe nichts zu meckern», erwiderte dieser munter. «Aber einer Ihrer Klienten meckert. Leider Gottes eine Vorladung, Sir Lancelot. Wegen dieses Magens, den Sie irrtümlich entfernt
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