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Doktor auf Abwegen

Doktor auf Abwegen

Titel: Doktor auf Abwegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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selten geworden ist - Stil.»
    Sir Lancelot war angenehm überrascht. «Ich entsprach also nicht Ihren Erwartungen?»
    «Nein. Ich erwartete, daß Sie kalt, höhnisch, arrogant, mit nichts zufrieden sind als mit Ihrer eigenen Bedeutung, keine Konversation machen können außer im ärztlichen Jargon und sich streng an Diät halten.»
    «Letzteres wäre der schlimmste Fehler. Der hiesige Koch ist ausgezeichnet.»
    Beim Stiltonkäse sagte Sir Lancelot: «Ich kann Ihnen den Portwein nur empfehlen. Er wurde auch bei der Krönungsfeier der Queen oder beim Silbernen Jubiläum Georgs V. aufgetragen — ich weiß nicht mehr, bei welchem Anlaß es war.»
    «Dieser Club hier ist wohl eine Bastion der Privilegierten, nicht wahr?» Sie blickte mit zusammengekniffenen Augen um sich. «Mit Wällen umgeben, mit Türmen befestigt und mit siedendem Öl auf der Zugbrücke für unwillkommene Fremdlinge.»
    «Ja.»
    «Und Sie schämen sich dessen nicht?»
    «Nein.»
    «Wieso? Ich als Amerikanerin schäme mich.»
    «Weil unser Land von solchen Bastionen strotzt, allerdings auf einem etwas bescheideneren Niveau. Man muß regelmäßiger Kunde sein, um das unschätzbare Vorrecht zu genießen, in gleichgesinnter Gesellschaft ungehindert seine Meinung zu äußern. Zum Glück kann ich meinem Vergnügen in sämtlichen sozialen Schichten nachgehen. Das Drum und Dran läßt mich kalt. Hätten Sie mich heute nicht begleitet, wäre ich wie jeder andere mit Käsebrötchen aus einer Papiertüte und Flaschenbier zufrieden gewesen. Wiewohl ich zugeben muß, daß die kalte Ente und der Claret sehr annehmbar waren.»
    «Wo sind jene Bastionen?» fragte sie argwöhnisch.
    «Wollen Sie eine besuchen? Sie hat einen Ausblick auf die Lichter jenseits der Themse, Sie genießen also das Vorrecht, genau das zu sehen, was Ihren Landsmann James Whistler zu vielen seiner Bilder inspiriert hat.»
    Während Sir Lancelot durch die von der Abenddämmerung umspielten Straßen des westlichen Londons fuhr, wurde Amelia sich zum erstenmal der amüsanten und interessanten Möglichkeit bewußt, daß ihr stattlicher Gefährte sich bemühte, sie herumzukriegen.
    Die winzige Kneipe drunten am Fluß war kaum auffindbar. Sie hatte Deckenbalken aus Eichenholz, einen gesenkten Fußboden und etwa ein Dutzend Gäste, die Maßkrüge mit der ernsten Miene von Leuten, die etwas für ihre Gesundheit tun, an die Lippen hoben. Sir Lancelot hatte den Wirt einst einer Blinddarmoperation unterzogen.
    «Das hier ist wundervoll», erklärte Amelia impulsiv. Sie lehnten an der Ziegelbrüstung der Terrasse und beobachteten, wie der Fluß sich verdunkelte, während die Abendluft sie wie ein alter Schal umhüllte. «So etwas haben wir drüben in den Staaten nicht.»
    «Wir hingegen haben kein Las Vegas», sagte Sir Lancelot galant.
    «Wollen Sie tauschen?»
    Er machte eine erfreuliche Entdeckung. Seine extrovertierte Gefährtin begann sich zu entspannen. Es war ihr erstes Beisammensein nach dem Treffen der vergangenen Woche. Sir Lancelot hatte sich durch unendliche Erfahrungen eine gründliche Kenntnis der Frauen erworben. Etwa hundert von ihnen stellten tagtäglich seinen Verstand auf eine harte Probe, weitere hundert unterstützten ihn minütlich bei seiner Arbeit - und das waren oft die schwierigeren. Er hatte Ms. Witherspoon als eine der labilen Intellektuellen eingestuft, wie sie so oft seine Ordination mit eingebildeten Schmerzen und wechselnden Symptomen heimsuchten. Auf Schmeicheleien reagierten sie wie Katzen, aber sie schnurrten immer erst, nachdem sie gekratzt hatten. Es freute ihn, j daß seine Gesellschaft ihr guttat.
    «Warum ruft denn der Barmann so laut?» fragte sie.
    «Wegen der Zeit.»
    «Kann er denn nicht die Uhr lesen?»
    «Alle Wirtshäuser sind dem Gesetz nach verpflichtet, um elf Uhr abends und während des Nachmittags zu sperren. Das wurde verfügt, um unter den Munitionsarbeitern des Ersten Weltkriegs Trunkenheit zu verhindern.»
    «Aber ich finde erst jetzt so richtig Geschmack an warmem Bier.»
    «Bei Nachtklubs drückt das Gesetz ein Auge zu», versicherte er ihr. «In denen waren die Munitionsarbeiter des Ersten Weltkriegs offenbar nicht Stammgäste.»
    Die Tür in der schmalen, mit Unrat besäten, mörderisch aussehenden Gasse in Soho war nicht gekennzeichnet. Drinnen führten dick mit Teppichen belegte, mit einem goldenen Geländer versehene Stufen hinab, wie zu Aladins Höhle.
    «Nein, so etwas, Sir Lancelot», rief das Mädchen in der Garderobe entzückt bei seinem

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